Was der Hund sah
sind.
3.
Tomatenketchup ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts - eine glückliche Verbindung aus der englischen Tradition der Obst- und Gemüsesoßen und der wachsenden Begeisterung der Amerikaner für die Tomate. Doch was wir heute als Ketchup kennen, ist das Produkt einer heftigen Debatte, die zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts um den damals verbreiteten Konservierungsstoff Benzoesäure geführt wurde. Harvey Wilson Wiley, der von 1883 bis 1912 Leiter der Chemiebehörde im Landwirtschaftsministerium war, gelangte zu der Überzeugung, dass Benzoesäure gesundheitsgefährdend sei. Die Auseinandersetzung, die auf diese Entscheidung folgte, spaltete die Ketchupwelt. Das Ketchup-Establishment vertrat die Auffassung, dass man Ketchup nicht ohne Benzoesäure herstellen könne und dass die verwendeten Mengen nicht schädlich seien. Eine Gruppe von Rebellen war jedoch der Meinung, man könne das Konservierungsproblem mit einem kulinarischen Trick lösen. Die meisten Ketchups des 19. Jahrhunderts waren dünn und wässrig, was vor allem daran lag, dass sie aus unreifen Tomaten hergestellt wurden, die kaum komplexe Kohlenhydrate wie Pektin enthalten, mit denen sich eine Soße andicken ließe. Aber wie wäre es, wenn man Ketchup stattdessen aus reifen Tomaten herstellen und ihn so haltbarer machen würde? Der Ketchup des 19. Jahrhunderts schmeckte intensiv nach Tomate und hatte lediglich eine leichte Essignote. Die Rebellen argumentierten, wenn man den Essiganteil erhöhen würde, könnte man die Tomaten haltbar machen und einen besseren Ketchup herstellen, der gesünder und reiner war und obendrein besser schmeckte. Sie boten eine Geld-zurück-Garantie für verdorbene Produkte. Außerdem verlangten sie mehr Geld für ihr Produkt, weil sie überzeugt waren, dass die Verbraucher gewillt waren, für einen besseren Ketchup mehr zu bezahlen. Sie behielten Recht. Der Anführer der Rebellen war ein Unternehmer aus Pittsburgh mit dem Namen Henry J. Heinz.
Der weltweit führende Experte zur Frühgeschichte des Ketchup ist Andrew F. Smith, ein Mann von eindrucksvollem Umfang, 1,80 Meter Körpergröße, grauem Schnauzbart und kurzen, schwarzen Locken.
Smith ist studierter Politikwissenschaftler und geht die Welt des Essens mit wissenschaftlicher Strenge an. Wir trafen uns kürzlich zum Mittagessen im Restaurant Savoy in Soho, für das wir uns entschieden, weil es dort nicht nur ausgezeichnete Hamburger und Pommes gibt, sondern auch, weil das Savoy seinen eigenen Ketchup herstellt, eine dunkle, pfeffrige und sämige Variante, die in einem weißen Porzellanschüsselchen gereicht wird. Smith war gerade dabei, sich für die Oxford Encyclopedia of Food and Drink in America, deren Herausgeber er ist, mit der Herkunft des Croissants herumzuschlagen. War das Croissant 1683 von den Wienern erfunden worden, um ihren Sieg über die Türken zu begehen? Oder im Jahr 1686 von den Einwohnern von Budapest, um ihren Sieg über die Türken zu feiern? Beide Geschichten wären eine Erklärung für die typische Halbmondform, und vor allem im Falle der Wiener klang es nicht unplausibel, dass sie ihrem Sieg auf dem Schlachtfeld ein essbares Denkmal errichteten. Doch der einzige Hinweis auf diese Geschichte stammte aus dem Larousse Gastronomique aus dem Jahr 1938. »Es passt einfach alles nicht zusammen«, sagte er und schüttelte müde den Kopf.
Smiths Spezialgebiet ist jedoch die Tomate. In zahlreichen wissenschaftlichen Artikeln und Büchern argumentiert er, dass man einen guten Teil der kulinarischen Zivilisationsgeschichte über diese Frucht erzählen könne. Hernan Cortes brachte die Tomate aus Mexiko nach Europa, von wo aus sie sich unaufhaltsam in die Küchen der Welt ausbreitete. In Italien verdrängte die Tomate die Aubergine. In Nordindien fand sie Eingang in Currys und Chutneys. »Was meinen Sie, wer heute weltweit der größte Tomatenproduzent ist?« Smith machte eine dramatische Pause. »China. Wahrscheinlich würden Sie die Tomate nicht mit der chinesischen Küche in Verbindung bringen, und vor zehn Jahren war das auch noch richtig. Das hat sich inzwischen geändert.« Smith tunkte eine meiner Fritten in die hausgemachte Soße. »Er hat diesen kantigen Geschmack«, sagte er mit konzentriertem Blick. »Das ist frischer Ketchup. Sie können die Tomate rausschmecken.«
Für ihn ist der Ketchup die perfekteste Ausdrucksform der Tomate.
Ketchup ist billig, was ihn zu einem festen Bestandteil des Massenmarktes macht. Und er ist eine Soße,
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