Was der Hund sah
Esstisch können wir jedoch noch mehr lernen. Kinder im Alter von zwei oder drei Jahren neigen dazu, neue Geschmäcker abzulehnen. Aus evolutionsgeschichtlicher Sicht ist dieses Verhalten durchaus sinnvoll, denn in der Frühgeschichte der Menschheit begannen Kinder in diesem Alter damit, selbst Essen zu sammeln; wer sich nicht an das Bekannte und Vertraute hielt, hätte wohl nicht überlebt. Unser Dreijähriger hatte vermutlich etwas Verdächtiges auf dem Teller - vielleicht Thunfisch oder Rosenkohl -, und er wollte das Fremde vertraut machen, indem er seinen Geschmack unterdrückte. Also griff er nach dem Ketchup, denn von allen Würzsoßen ist nur dieser in der Lage, süß, sauer, salzig, bitter und umami zu liefern, alles auf einmal.
5.
Einige Monate nach Jim Wigons Auftritt in Zabar’s führte Edgar Chambers, Leiter des Zentrums für Geschmacksanalyse an der Kansas State University, einen Vergleich zwischen World’s Best Ketchup und Heinz durch. Zu seinen Mitarbeitern gehörten siebzehn ausgebildete Geschmackstester, die für Universitäten und Unternehmen tätig sind und die oft schwierige Frage beantworten, wonach ein bestimmtes Produkt schmeckt. Die Arbeit ist anspruchsvoll. Unmittelbar nach dem Ketchuptest sollte ein Teil der Tester nach Bangkok fliegen, um Früchte - Bananen, Mangos, Äpfel und Tamarinden - zu testen. Andere sollten in Korea Soja und Gimchi probieren, und Chambers Frau führte eine Gruppe nach Italien, um dort Speiseeis zu analysieren.
Der Ketchuptest wurde an zwei aufeinanderfolgenden Vormittagen durchgeführt und dauerte jeweils vier Stunden. Je sechs Geschmackstester saßen um einen runden Tisch herum, in dessen Mitte Schüsselchen aufgebaut waren. Jeder hatte zwei Schälchen vor sich, eins mit Heinz Ketchup, das andere mit World’s Best. Mithilfe der 15-Punkte Skala der internationalen Nahrungsmittelindustrie sollten sie vierzehn verschiedene Dimensionen des Geschmacks und der Textur analysieren. Bei den Geschmackskomponenten unterschieden die Tester Wahrnehmungen über die Zunge und die Nase. Ein reifer Pfirsich schmeckt beispielsweise nicht nur süß, sondern er riecht auch süß, und das ist ein ganz anderer Aspekt der Süße. Essig schmeckt sauer, doch er hat auch eine beißende Qualität, die als Dunst in die Nase steigt und beim Ausatmen den Mundraum füllt. Um die Bewertung zu erleichtern, hatten die Geschmackstester zusätzlich kleine Schüsseln mit süßen, sauren und salzigen Lösungen, Tomatenmark, Hunt’s Tomatensoße und Campbell’s Tomatensaft um sich herum aufgebaut, um verschiedene Grade der Tomatigkeit vergleichen zu können.
Nachdem sie die Ketchups in ihren Einzelbestandteilen definiert hatten, beurteilten die Geschmackstester ihre Ausgewogenheit, eine ganz entscheidende Dimension. »Der Unterschied zwischen großer und geringer Ausgewogenheit ist ungefähr so, als würde ein Konzertpianist oder mein Sohn die Ode an die Freude auf dem Klavier spielen«, erklärt Chambers. »Die Noten sind dieselben, aber der Konzertpianist verbindet sie besser miteinander.« Shortbread von Pepperidge Farm gilt als besonders ausgewogen, genau wie Mayonnaise von Hellman und Kuchen von Sara Lee. Wenn ein Produkt ausgewogen ist, dann vereinen sich die einzelnen Elemente zu einer einzigen Gestalt. Bei besonders ausgewogenen Geschmäckern wie dem von Pepsi oder Coca Cola lassen sich die einzelnen Bestandteile nicht mehr isolieren. Anders bei Cola-Getränken vieler anderer Hersteller. »Coke und Pepsi sind einfach genial«, schwärmt Judy Heylmun, stellvertretende Leiterin von Sensory Spectrum Inc. in Chatham, New Jersey. »Sie haben einfach wunderbare Noten, alle Bestandteile sind im Gleichgewicht. Das ist gar nicht so einfach. Bei ›weißen Marken‹ macht es oft pick, pick, pick! Einige der Geschmacksnoten stechen hervor. Zuerst der Zitrusgeschmack. Dann Zimt. Zitrus und Zimt sind hohe Noten und sehr flüchtig, im Gegensatz zur Vanille, die ist dunkel und tief. Bei einer billigen weißen Marke wird alles von einer dicken, fetten Zimtnote überlagert.«
Billige Ketchups verhalten sich ganz ähnlich. Tomaten unterscheiden sich in ihrem Säuregehalt, ihrer Süße, dem Verhältnis von flüssigen zu festen Bestandteilen, je nach Sorte, Jahreszeit, Bodenbeschaffenheit und Wetterverhältnissen während der Wachstumsphase. Wenn diese Variablen nicht genauestens überwacht werden, kann eine Ketchuplieferung zu flüssig sein, und die nächste zu kräftig. Oder nehmen Sie einen der
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