Was der Hund sah
veröffentlicht, den er seinem Vater Artie Niederhoffer, einem Polizisten aus Coney Island, gewidmet hatte. Er hatte eine große, umfassende Bibliothek und einen offenbar unstillbaren Wissensdurst. Während seines Studiums in Harvard ging er zur ersten Squashstunde und verkündete, er werde der beste in diesem Sport sein; und tatsächlich sollte er bald den legendären Shariff Khan besiegen und die US Open gewinnen. So einer war also Niederhoffer. Er hatte von Taleb gehört, weil dieser sich auf dem exotischen Gebiet des Optionshandels einen Namen gemacht hatte, und ihn nach Connecticut eingeladen. Taleb war voller Ehrfurcht.
»Da er nicht viel geredet hat, habe ich ihn beobachtet«, erinnert sich Taleb. »Ich habe ihm sieben Stunden beim Handel zugesehen. In seinem Büro waren alle Mitte, Ende zwanzig, und er war über fünfzig, aber er hatte von allen die meiste Energie. Nach Börsenschluss ist er dann raus auf den Tennisplatz und hat tausend Rückhände gespielt.« Taleb ist griechisch-orthodoxer Libanese, seine Muttersprache ist französisch, und er spricht den Namen Niederhoffer mit der Betonung auf der zweiten Silbe aus, Niederhoffer. »Der Mann lebte in einer Villa mit Tausenden Büchern, und das war als Kind immer mein Traum gewesen. Er war halb Ritter, halb Gelehrter. Ich hatte einen Heidenrespekt vor ihm.« Es gab nur ein Problem, und das erklärt den merkwürdigen Weg, den Taleb für sich gewählt hatte und der erklärt, warum er heute als einer der wichtigsten Dissidenten der Wall Street gilt. Bei allem Neid und aller Bewunderung wollte er nicht mit Victor Niederhoffer tauschen, auch nicht zu dessen erfolgreichsten Zeiten. Denn wenn er sich so umsah, und die Bücher, den Tennisplatz und die Gemälde betrachtete, dann konnte er nicht umhin zu denken, dass dies alles nicht mehr als ein Produkt des glücklichen Zufalls sein konnte.
Taleb war sich bewusst, wie ketzerisch dieser Gedanke war. Die Wall Street basiert auf der Annahme, dass es im Investmentgeschäft so etwas wie Expertenwissen gibt, und dass Können und Erfahrung auf dem Börsenparkett genauso wichtig sind wie im Operationssaal, auf dem Goldplatz oder im Flugzeugcockpit. Wer beispielsweise erkannte, welche Rolle die Software in der modernen Welt spielen würde, kaufte 1985 Aktien von Microsoft und verdiente damit ein Vermögen. Wer die Psychologie von Investmentblasen verstand, verkaufte seine Hightech-Aktien Ende 1999 und entging dem Zusammenbruch der neuen Märkte. Warren Buffet galt als der »Weise von Omaha«, denn jemand, der mit nichts anfing und mit Milliarden endete, musste zweifellos klüger sein als alle anderen. Buffet konnte schließlich nicht ohne Grund so erfolgreich sein. Doch woher konnte man wissen, fragte sich Taleb, ob das Expertenwissen wirklich der Grund für den Erfolg war, oder ob es lediglich als Erklärung nachgereicht wurde?
Auch George Soros konnte nicht ohne Grund so erfolgreich zu sein.
Eine Zeit lang erklärte er jedem, der es hören wollte, dass er einer »Theorie der Reflexivität« folge, nur um später zu schreiben, diese Theorie sei »so schwach, dass man sie getrost vergessen kann«. Juan- Manuel Rozan, ein früherer Geschäftspartner von Taleb, diskutierte einmal einen ganzen Nachmittag lang mit Soros über den Aktienmarkt. Soros setzte vehement auf weitere Kursverluste und hatte eine ausgeklügelte Erklärung parat. Seine Theorie stellte sich als vollkommen falsch heraus, und der Aktienmarkt boomte. Zwei Jahre später trafen sich Rozan und Soros bei einem Tennisturnier wieder. »Erinnern Sie sich an unser Gespräch?«, fragte Rozan, und Soros erwiderte: »Ich erinnere mich sehr gut. Ich habe meine Meinung geändert und ein Vermögen verdient.« Er hatte also seine Meinung geändert. Sein Sohn Robert kam der Wahrheit vermutlich am nächsten, als er schrieb: »Mein Vater kann sich mit Ihnen hinsetzen und Ihnen die schönsten Theorien darüber ausbreiten, warum er sich so oder so verhält. Schon als Kind habe ich nur gedacht, mein Gott, die Hälfte davon ist purer Blödsinn. In Wirklichkeit ändert er seine Position am Markt doch nur, weil er furchtbare Rückenschmerzen bekommt. Mit Vernunft hat das nichts zu tun. Er bekommt regelrecht Krämpfe, und das ist sein Frühwarnsystem.«
Taleb trieb also die Frage um, warum jemand wirklich an der Börse erfolgreich war. Letztlich war es ein einfaches Rechenspiel. Nehmen wir an, es gibt zehntausend Investmentmanager. Durch puren Zufall erzielt jedes Jahr die Hälfte
Weitere Kostenlose Bücher