Was der Hund sah
zahlreichen Billig-Ketchups und achten Sie auf die Würzmischung: Es kann Ihnen gut passieren, dass ein Nelken- oder Knoblauchgeschmack hervorsticht. Viele Billigketchups und -colas haben einen Haken, wie Moskowitz das nennt - ein Geschmackselement, das wir leicht identifizieren und dessen wir schließlich überdrüssig werden.
Der Geschmackstest begann mit einem Plastiklöffelchen. Nach einer kurzen Diskussion kamen die Geschmackstester zu dem Schluss, dass es besser wäre, die Ketchups mit Pommes Frites zu probieren. Also wurde eine Portion Pommes frittiert und auf den Tischen verteilt. Nach einem vereinbarten Protokoll nahm jeder Tester eine Fritte nach der anderen, tunkte sie in eines der beiden Schälchen, biss das von Ketchup bedeckte Stück ab und ließ dann den Eindruck auf seine Sinne wirken. Im Falle von Heinz Ketchup waren die entscheidenden Geschmackskomponenten Essig, Salz, Tomatigkeit, Süße und Bitterkeit nach Ansicht der Tester in etwa gleichem Maße vertreten und untereinander ausgewogen. World’s Best hatte »ein völlig anderes Profil als Heinz«, sagte Chambers. Die süßen Aromen waren sehr viel stärker - 4,0 zu 2,5 -, und auch bei der Tomatigkeit hatte der weltbeste Ketchup mit 9 zu 5,5 die Nase weit vorn. Dafür enthielt er weniger Salz und keine erkennbare Essignote. »Die Geschmackstester sind zu dem Schluss gekommen, dass die verschiedenen Elemente in keiner Weise ausgewogen sind«, fuhr Chambers fort. Bei der Diskussion des Nachgeschmacks meinte Testerin Joyce Buchholz: »Bei World’s Best hängt ein ganz bestimmter Geschmack nach - dieser Geschmack von gekochten Tomaten.«
Aber was blieb Jim Wigon anderes übrig? Um gegen Heinz anzutreten, war eine dramatische Geste nötig. Etwa der Ersatz von Mais- durch Ahornsirup oder eine Steigerung des Tomatengehalts. Auf Fisch schmeckt World’s Best Dillketchup beispielsweise köstlich. Doch das bedeutet eben auch, dass sein Ketchup kein so umfassendes Geschmackserlebnis darstellt wie Heinz Ketchup, und dass er bei der Ausgewogenheit einen hohen Preis zahlt. »Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass World’s Best mehr wie eine Nudelsoße schmeckt«, sagte Buchholz. Sie wollte nur helfen.
Es gibt also eine Ausnahme von Moskowitz’ Regel. Heute verkauft Ragu seine Nudelsoßen in 36 Geschmäckern und sechs Rubriken, und jeder Mann, jede Frau und jedes Kind in Amerika findet inzwischen die Nudelsoße, die fast perfekt auf seinen oder ihren Geschmack abgestimmt ist. Das ist ein Fortschritt gegenüber der Eintönigkeit, die Howard Moskowitz vor zwanzig Jahren vorfand. In gewissem Sinne hängt unser Glück davon ab, inwieweit unsere Umwelt auf die endlose Vielfalt der menschlichen Geschmäcker eingeht. Doch darüber übersehen wir leicht, dass unser Glück oft auch davon abhängt, dass wir das bekommen, was wir schon immer hatten und was alle anderen haben.
»Anfang der siebziger Jahre hat irgendjemand - ich glaube sogar, es war Ragu - versucht, einen ›italienischen‹ Ketchup auf den Markt zu bringen«, erzählt Moskowitz. »Es war ein völliger Flop.« Es war ein Rätsel: Was auf eine gelbe Würzpaste für Hotdogs zutraf, traf auf eine rote Würzpaste für Hamburger noch lange nicht zu. Und wenn man eine Tomatensoße mit Gemüsestückchen versetzte, passierte etwas anderes, als wenn man eine Tomatensoße mit Essig und Zucker versetzte. Moskowitz zuckt mit den Schultern. »Ketchup ist eben Ketchup.«
6. September 2004
Der schwarze Schwan
Wie Nassim Taleb die Unvermeidlichkeit des Scheiterns zu einer Investmentstrategie machte
1.
Eines Tages im Jahr 1996 war ein Börsenhändler namens Nassim Taleb bei Victor Niederhoffer zu Besuch. Victor Niederhoffer war einer der erfolgreichsten Finanzmanager der Vereinigten Staaten. Er lebte und arbeitete in einer Villa auf einem fünf Hektar großen Grundstück in Fairfield County im Bundesstaat Connecticut, und als ihn Taleb an diesem Tag aufsuchte, musste er sich am Tor ausweisen, ehe er die lange, gewundene Zufahrtsstraße zum Haus hinauffahren durfte. Niederhoffer hatte einen Squashplatz, einen Tennisplatz, einen Swimmingpool und ein riesiges Landhaus, dessen Räume derart dicht mit naiven amerikanischen Gemälden des 18. und 19. Jahrhunderts behängt waren, dass man die Tapete kaum sah. Niederhoffer spielte regelmäßig Tennis mit dem Milliardär und Finanzmanager George Soros. Er hatte gerade einen Bestseller mit dem Titel The Education of a Speculator (Die Erziehung eines Spekulanten)
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