Was der Hund sah
davon Gewinne, und die andere Hälfte Verluste. Nehmen wir weiter an, dass die Verlierer jedes Jahr ausgemustert werden und das Spiel mit den verbleibenden Managern weitergeht. Nach fünf Jahren sind noch 313 Personen übrig, und nach zehn Jahren sind es noch neun, die in den zehn aufeinanderfolgenden Jahren Gewinne erzielt haben, und zwar durch puren Zufall. Niederhoffer war ein genialer Mann, genau wie Buffet und Soros. Er hatte an der University of Chicago in Wirtschaftswissenschaften promoviert und als einer der ersten die Idee vertreten, Investoren könnten mithilfe mathematischer Analysen von Mustern am Börsenmarkt gewinnträchtige Verzerrungen erkennen. Aber wer konnte sagen, ob er nicht einer der glücklichen Neun war? Und wer konnte sagen, dass Niederhoffer im elften Jahr nicht plötzlich auf der Verliererseite stehen würde, alles verspielte und »hochging«, wie man das an der Wall Street nennt?
Taleb erinnerte sich an seine Kindheit im Libanon. Er musste mit ansehen, wie sich das Land »vom Paradies in eine Hölle verwandelte«, wie er sagt. Seine Familie besaß große Ländereien im Norden des Libanon und verlor alles. Er dachte an seinen Großvater zurück, den früheren stellvertretenden Ministerpräsidenten des Libanon und seinerseits Sohn eines stellvertretenden Ministerpräsidenten; einen würdevollen Mann, der seinen Lebensabend in einer schäbigen Wohnung in Athen fristete. Genau das war das Problem in einer Welt, in der niemand wusste, warum die Dinge den Verlauf nahmen, den sie nahmen: Niemand konnte sagen, ob sich nicht das Blatt irgendwann auch wieder wendete und alles verloren ging.
Das also nahm Taleb von seinem Besuch bei Niederhoffer mit. Er sah, dass Niederhoffer ein guter Sportler war, also beschloss er, ebenfalls Sport zu treiben. Er nahm sich vor, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren und meldete sich in einem Fitnessstudio an. Niederhoffer war ein überzeugter Empiriker, der Taleb bei seinem Besuch mit strengem Blick erklärte: »Alles, was man überprüfen kann, muss man auch überprüfen.« Als Taleb einige Jahre später seinen eigenen Hedgefonds gründete, nannte er ihn Empirica. Doch das war es auch schon. Nassim Taleb beschloss, keine Investmentstrategie zu verfolgen, die ihm um die Ohren fliegen konnte.
2.
Nassim Taleb ist ein großer, muskulöser Mann Anfang 40, mit graumeliertem Bart und lichtem Haar. Er hat dichte Augenbrauen, eine lange Nase und die olivfarbene Haut der Levante. Er ist ein launischer Mensch, und wenn sich seine Welt verfinstert, dann zieht er die Brauen zusammen und verengt die Augen zu Schlitzen, dass man meinen könnte, er wolle Blitze schleudern. Einige seiner Freunde finden, er sehe aus wie Salman Rushdie, doch an das Notizbrett seines Büros haben Mitarbeiter das Foto eines Mullah gepinnt, von dem sie behaupten, er sei Talebs verschollener Zwillingsbruder. Taleb selbst denkt aus unerfindlichen Gründen, er habe große Ähnlichkeit mit Sean Connery. Er lebt in einem Vier-Zimmer-Apartment mit 26 russischen Ikonen, 19 römischen Gipsköpfen und 4 000 Büchern. Bei Sonnenaufgang steht er auf, um eine Stunde zu schreiben. Er hat inzwischen zwei Bücher verfasst, eine ausgesprochen technische und viel beachtete Abhandlung über Derivate, und das zweite ein Aufsatz mit dem Titel Narren des Zufalls , der letztes Jahr veröffentlicht wurde und sich zur den gängigen Überzeugungen an der Wall Street ungefähr so verhält wie Luthers 95 Thesen zur Lehrmeinung der Katholischen Kirche. Manchmal fährt er nachmittags in die Stadt und setzt sich in eine Philosophie-Vorlesung an der City University. Während des Semesters unterrichtet er abends einen Kurs in Finanzwesen an der New York University und sitzt danach oft an der Theke des Odeon Cafe in Tribeca, wo er sich über Feinheiten der Statistik oder seinen griechischen Lieblingsdichter C. P. Cavafy auslässt.
Das Büro von Empirica Capital befindet sich in einem anonymen Büropark irgendwo in den Wäldern um Greenwich, Connecticut, und ist kaum größer als eine kleine Manhattaner Dachwohnung. In einer Ecke sitzt Taleb, vor ihm ein Laptop, und um ihn der Rest seines Teams - Chefhändler Mark Spitznagel, ein zweiter Trader namens Danny Tosto, der Programmierer Winn Martin und ein Student namens Pallop Angsupun. Spitznagel dürfte so um die dreißig sein. Winn, Danny und Pallop sehen aus wie Pennäler. In einer Ecke des Raumes steht ein überbordendes Bücherregal und ein Fernseher, auf dem mit abgestelltem Ton
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