Was der Hund sah
erkrankte, war weniger als 1 zu 100 000, also unvorstellbar klein. Er war ein schwarzer Schwan! Der Krebs ist inzwischen besiegt, doch die Erinnerung daran ist Talebs Geheimnis. Wer einmal ein schwarzer Schwan war - und nicht nur einen gesehen, sondern als solcher gelebt und dem Tod ins Auge gesehen hat -, der ist eher gewillt zu glauben, dass ein weiterer hinter dem Horizont wartet.
Am Ende des Börsentages kehrten Taleb und seine Mitarbeiter zu dem Problem der Wurzel von n zurück. Taleb stand wieder an der Tafel. Spitznagel sah zu. Pallop schälte müßig eine Banane. Draußen versank die Sonne hinter den Bäumen. »Man konvertiert zu p1 und p2«, sagte Taleb. Sein Marker quietschte wieder über die Tafel. »Wir haben eine Gauss’sche Normalverteilung, und der Markt geht von schwachem zu regem Handel über. p21. p22.« Er legte die Stirn in Falten und betrachtete seine Arbeit. Die Börse hatte ihre Tore geschlossen. Empirica hatte Geld verloren, und das bedeutete, dass irgendwo dort hinter den Bäumen Niederhoffer Geld gewonnen hatte. Das schmerzte, doch wenn man sich dagegen stählte, über das anstehende Problem nachdachte und sich ins Gedächtnis rief, dass der Markt irgendwann irgendetwas vollkommen Unerwartetes tun würde, dann tat es weniger weh.
Taleb beäugte seine Gleichungen an der Tafel und hob eine Augenbraue. Es war ein kniffliges Problem. »Wo ist Dr. Wu? Sollten wir Dr. Wu dazuholen?«
4.
Ein Jahr nach Talebs Besuch ging Victor Niederhoffer hoch. Er hatte eine Menge Optionen auf den S&P-Index verkauft, dazu Millionen von Dollar von anderen Händlern aufgenommen und ihnen zugesagt, einen Korb von Aktien zum gegenwärtigen Preis zu übernehmen, sollte der Markt je fallen. Seine Spekulation war nicht abgesichert, das heißt, er setzte alles auf eine Karte: Er wettete auf die große Wahrscheinlichkeit, eine kleine Summe zu gewinnen und gegen die geringe Wahrscheinlichkeit, eine große Summe zu verlieren - und verlor. Am 27. Oktober 1997 fiel die Börse um 8 Prozent, und die vielen, vielen Leute, die Optionen von Niederhoffer erworben hatten, klopften alle gleichzeitig an seine Tür und verlangten, dass er ihre Aktien zum Vor- Crash-Kurs übernahm. Er blätterte 130 Millionen Dollar auf den Tisch - seine gesamten Geldreserven, seine Ersparnisse, seine Aktien -, und als sein Broker kam und weitere Gelder eintrieb, war er pleite. An einem einzigen Tag wurde einer der erfolgreichsten Hedgefonds der Vereinigten Staaten ausradiert. Niederhoffer musste die Tore schließen, eine Hypothek auf seine Villa aufnehmen und sich von seinen Kindern Geld leihen. Er musste bei Sotheby’s anrufen und seine geliebte Silbersammlung versteigern lassen, darunter eine massive brasilianische Skulptur aus dem 19. Jahrhundert, die für den Visconde De Figueirdeo gefertigt worden war, eine Trophäe, die Tiffany 1887 für das James Gorden Bennet Segelrennen hergestellt hatte, und so weiter und so fort. Niederhoffer blieb der Auktion fern. Er konnte es nicht mit ansehen.
»Es war mit das Schrecklichste, was mir je passiert ist, neben dem Tod geliebter Angehöriger«, gestand Niederhoffer vor Kurzem ein. Es war ein Sonntag im März, und Niederhoffer saß in der Bibliothek seiner Villa. Zwei träge dreinblickende Hunde liefen ein und aus. Er ist groß gewachsen, ein Sportler mit kräftigem Oberkörper, einem langen, beeindruckenden Gesicht und finsterem Blick. Niederhoffer trug keine Schuhe. Ein Kragen seines Hemds war nach innen geknickt, und er sah sein Gegenüber beim Sprechen nicht an. »Ich habe meine Freunde hängen gelassen. Ich habe mein Unternehmen verloren. Ich war ein angesehener Finanzmanager. Ich musste wieder von vorn anfangen.« Er machte eine Pause. »Das ist fünf Jahre her. Der Biber baut seinen Damm. Der Fluss spült ihn fort, also baut er einen Damm mit einem besseren Fundament. Ich denke, das habe ich nun geschafft. Aber ich bin mir bewusst, dass ich wieder scheitern kann.«
In der Ferne klopfte es an die Tür. Es war ein Mann namens Milton Bond, ein Maler, der Niederhoffer ein Bild ablieferte. Das Gemälde war in jenem naiven Stil gehalten, den Niederhoffer so sehr schätzte, und zeigte Moby Dick, wie er die Pequod rammte. Niederhoffer ging ins Foyer und kniete sich vor dem Bild nieder, während Bond es auspackte. Er hatte noch andere Bilder der Pequod im Haus, außerdem ein Gemälde der Essex, auf deren Schicksal Melvilles Roman basierte. In seinem Büro hängt an prominenter Stelle ein Gemälde der
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