Was der Hund sah
45 Dollar noch einen Gewinn machte. Sie sind überzeugt, dass die Blätter in dieser Welt schließlich immer in einem mehr oder minder vorhersehbaren Muster von den Bäumen fallen.
Der Unterschied zwischen beiden Seiten ist derselbe, der Taleb und Niederhoffer an jenem Tag vor vielen Jahren in Connecticut trennte.
Niederhoffers Held ist ein Francis Galton, ein Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts. Nach ihm benannte Niederhoffer seine Tochter Galt, und in seiner Bibliothek hängt ein lebensgroßes Porträt des Meisters. Galton war Statistiker und Sozialwissenschaftler (und nebenbei Genetiker und Astronom), und seine Anhänger waren über - zeugt, dass man anhand von empirischen Beweisen in Form von Daten alles erfahren konnte, was man wissen musste. Talebs ist dagegen ein Schüler von Karl Popper, der sagte, dass man nie mit absoluter Sicherheit wissen könne, ob eine Aussage wahr ist oder nicht; man könne nur wissen, dass sie falsch ist. Taleb betont gern, er habe viel von Niederhoffer gelernt, doch der winkt ab. »In einem seiner Fälle spricht John Mortimers Romanfigur Horace Rumpole davon, er werde von einem Bischof verurteilt, der nicht an Gott glaubt«, sagt er. »Nassim ist ein Empiriker, der nicht an die Empirie glaubt.« Was kann man aus Erfahrung lernen, wenn man glaubt, dass man der Erfahrung nicht trauen darf? Niederhoffer verdient heute viel Geld mit dem Verkauf von Optionen, und häufig ist Taleb derjenige, der ihm die Optionen abkauft. Wenn einer von beiden bei Börsenschluss einen Dollar reicher ist, dann kommt dieser Dollar vermutlich aus der Tasche des anderen. Aus Lehrer und Schüler sind Räuber und Beute geworden.
3.
Was Nassim Taleb am meisten wunderte, als er vor Jahren bei der Investmentfirma First Boston arbeitete, war die hirnlose Geschäftigkeit des Parketts. Die Händler sollten jeden Morgen ins Büro kommen, um zu kaufen und zu verkaufen, und ihr Bonus richtete sich nach dem Gewinn, den sie dabei erzielten. Wer zu lange keine Gewinne machte, wurde von den Kollegen schief angesehen, und wer noch länger keine Gewinne vorweisen konnte, war irgendwann weg vom Fenster. Die Händler waren zumeist gut ausgebildet, sie trugen Anzüge von Savile Row und Krawatten von Ferragamo. Sie stürzten sich mit frenetischer Raserei in den Markt. Sie lasen das Wall Street
Journal mit der Lupe und scharten sich um Fernseher, um die neuesten Nachrichten zu erhaschen. »Die Notenbank tut dies, der spanische Premier sagt jenes«, erinnert sich Taleb. »Der italienische Finanzminister lehnt eine Abwertung der Lira ab, diese und jene Zahl fällt höher aus als erwartet, Abby Cohen hat gerade dies und das erklärt.« Es war eine Szene, die Taleb nicht verstand.
»Er arbeitet immer konzeptionell«, sagt Howard Savery, der in den achtziger Jahren bei der französischen Bank Indosuez Talebs Assistent war. »Damit hat er unseren Parketthändler Tim schier verrückt gemacht. Händler wollen es gern präzise: ›Verkauf hundert Futures für 87.‹ Nassim hat den Hörer abgenommen und gesagt: ›Verkauf was.‹ Und Tim hat gefragt: ›Wie viel?‹ Und er hat geantwortet: ›Eine angemessene Menge.‹ Die beiden haben heftig diskutiert. Und dann haben sich alle zum Essen getroffen und hatten ihren Spaß. Nassim und seine Leute hatten kein Interesse an den neuesten Zahlen. Wenn sich die anderen über ihre Schreibtische gebeugt und sich die neusten Berechnungen angesehen haben, ist er demonstrativ rausgegangen.«
Bei Empirica liegt kein Wall Street Journal herum. Es wird wenig aktiv gehandelt, da der Computer die Optionen des Fonds auswählt. Die meisten dieser Optionen sind nur dann nützlich, wenn der Markt dramatisch in Bewegung kommt, und das ist an den wenigsten Tagen der Fall. Die Aufgabe von Taleb und seinen Mitarbeitern besteht also darin, zu warten und nachzudenken. Sie analysieren die Ein- und Verkaufspolitik des Unternehmens, testen verschiedene Strategien und entwickeln immer ausgeklügeltere Computermodelle zur Options- preisung. Danny hackt gelegentlich etwas in seinen Computer. Pallop schaut verträumt in die Ferne. Spitznagel nimmt Anrufe von Händlern entgegen und schaltet auf seinem Computer zwischen verschiedenen Bildschirmen hin und her. Taleb beantwortet E-Mails und Anrufe von einem der Broker des Unternehmens in Chicago, und spricht dabei mit einem libanesischen Brooklyner Akzent. Es klingt eher nach Schule als nach Börse.
»Pallop, hast du in dich hineingehorcht?«, fragt Taleb, wenn er vom
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