Was der Hund sah
Frauen zum ersten Mal in die Lage, ihr Haar schnell und einfach zu Hause zu färben. Doch das Stigma blieb: die Furcht vor den kritischen Blicken der Schwiegermutter. Als Shirley Polykoff den Auftrag von Clairol bekam, wusste sie sofort, was sie sagen wollte, denn in ihren Augen hatte eine Frau ein Recht auf blondes Haar und einen Anspruch auf Diskretion. »Tut sie’s oder tut sie’s nicht?«, übersetzte sie daher aus dem Jiddischen. »Das weiß nur ihre Friseuse«. Im Herbst 1956 schaltete Clairol eine dreizehnseitige Anzeigenkampagne in Life , und Miss Clairol zündete wie eine Rakete. Das war erst der Anfang. Für Nice’n Easy, Clairols bahnbrechendes Färbeshampoo, dichtete Polykoff: »Je näher er kommt, desto besser sehen Sie aus.« Für Lady Clairol, eine Creme- und Bleichkombination, die die amerikanische Mittelschicht in Silber und Platin färbte, schrieb sie: »Stimmt es, dass Blondinen mehr Spaß haben?« Und schließlich prägte sie den denkwürdigen Satz: »Wenn ich nur ein Leben habe, dann lass es mich als Blondine leben!« (Betty Friedan, Autorin von Der Weiblichkeitswahn, sei vor der Veröffentlichung ihres Beststellers im Sommer 1962 derart begeistert von diesem Satz gewesen, dass sie sich die Haare blond gefärbt habe, berichtet ihr Biograf.) Shirley Polykoff erfand diese Zeilen, und Clairol perfektionierte das Produkt. Zwischen den Fünfzigern und den Siebzigern, als Polykoff Clairol abgab, stieg der Anteil der amerikanischen Frauen, die sich die Haare färbten, von 7 auf mehr als 40 Prozent.
Heute, da Frauen ohne mit der Wimper zu zucken von Braun zu Blond zu Rot zu Schwarz und wieder zurück wechseln, sind Haarfärbemittel so selbstverständlich wie Lippenstift. Auf den Regalen der Drogeriemärkte reihen sich die Päckchen von Hydrence, Excellence, Preference, Natural Instincts, Loving Care, Nice’n Easy und so weiter, jedes in Dutzenden verschiedenen Tönen. Feria, das neue L’Oreal- Produkt für junge Kundinnen, bietet unter anderem Chocolate Cherry und Champagne Cocktail. Diese Produkte fragen nicht mehr »Tut sie’s oder tut sie’s nicht?«, sondern sie gehen davon aus, dass sie es natürlich tut. Haarfärbemittel sind ein Milliardengeschäft.
Doch es gab eine Zeit, die noch gar nicht so lange zurückliegt - etwa zwischen dem Beginn der Eisenhower-Ära und dem Ende der Carter-Regierung -, als es noch etwas anderes bedeutete, sich die Haare zu färben. Slogans wie »Tut sie’s oder tut sie’s nicht?« oder der berühmte Werbespruch »Weil ich es mir wert bin« aus dem Jahr 1973 für L’Oreal Preference waren genauso einprägsam wie »Winston tastes good, like a cigarette should« oder »Besser geht’s mit Coca Cola«. Sie hielten sich länger als die üblichen Werbesprüche, fanden Eingang in die Umgangssprache und schienen auch über ihren ursprünglichen Sinn hinaus eine Bedeutung zu haben. In den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren nahmen immer mehr Frauen am Arbeitsleben teil, kämpften für Gleichberechtigung, nahmen die Pille und machten neue Dinge mit ihren Haaren. Wer sich die Werbung für Haarfärbemittel aus der Zeit ansieht, erkennt überrascht, dass dies alles - das Profunde und das scheinbar Triviale - irgendwie Hand in Hand ging. Haben wir in der Geschichte der Frauen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts irgendetwas Wichtiges übersehen? Kann es sein, dass wir die Haare vergessen haben?
2.
Als die »Tut sie’s oder tut sie’s nicht«-Kampagne im Jahr 1956 anlief, setzte die Werbung mit der Zielgruppe Frauen vor allem auf Glamour »Kirschen im Schnee, Feuer und Eis«, wie Bruce Gelb es beschreibt. Doch Shirley Polykoff bestand darauf, dass die Models der Miss-Clairol-Kampagne aussahen wie das Mädchen von nebenan. »Blusentypen, keine Abendkleider«, schrieb sie in ihrem ersten Clairol-Memo. »Frauen mit einem Kaschmir-Pulli über den Schultern. Das typische Mädel aus der Nachbarschaft, das ein bisschen hübscher ist als die eigene Frau und in einem etwas netteren Haus wohnt.« Das Model sollte aussehen wie Doris Day, nicht wie Jayne Mansfield, denn Haarfärbemittel sollten so respektabel und mainstreamig wie möglich daherkommen. In einem der ersten »Tut sie’s oder tut sie’s nicht«-Spots bereitet eine Hausfrau in der Küche Partyhäppchen vor. Sie ist schlank und hübsch und trägt ein schwarzes Cocktailkleid und eine Schürze. Ihr Mann kommt in die Küche, küsst sie auf den Mund, betätschelt zufrieden ihr sehr blondes Haar und hält ihr
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