Was der Hund sah
die Küchentür auf, während sie die Häppchen für die Gäste hinausträgt. Es ist ein perfekt choreografiertes Sittengemälde, bis hin zu dem kleinen Schlenker mit Ellbogen, mit dem die Frau auf dem Weg nach draußen das Licht in der Küche ausknipst. In einer der ersten Zeitungsanzeigen, die erst von Richard Avedon und später von Irving Penn fotografiert wurden, liegt eine Frau mit rotblondem Haar mit einer Wiesenblume zwischen den Zähnen im Gras. Neben ihr liegt ein Mädchen von acht oder neun Jahren. Es sticht sofort ins Auge, dass das Mädchen exakt dieselbe Haarfarbe hat wie die Mutter. In den Zeitungsanzeigen war immer ein Kind mit im Bild, einerseits um dem Slogan die sexuelle Anspielung zu nehmen und klar zu machen, dass Mütter Clairol verwendeten, keine »leichten« Frauen waren, und andererseits um die Haarfarbe zu betonen. Wer käme denn angesichts des Vergleichs schon auf den Gedanken, dass die Farbe der Mutter aus der Flasche kam?
Die Kampagne von Shirley Polykoff war eine Sensation. Clairol bekam bergeweise Zuschriften. »Danke! Sie haben mein Leben verändert!«, schrieb eine Kundin in einem Brief, der im Unternehmen die Runde machte und zum Motto einer nationalen Konferenz der Handelsvertreter erhoben wurde. »Mein Freund Harold und ich waren fünf Jahre zusammen, aber er wollte nie über einen Heiratstermin reden. Ich war sehr nervös. Ich bin 28, und meine Mutter meinte, bald bekäme ich keinen mehr ab.« Dann, so die Briefschreiberin, habe sie in der U-Bahn eine Clairol-Anzeige gesehen. Sie habe ihr Haar blond gefärbt, und »jetzt bin ich auf den Bermudas, auf Hochzeitsreise mit meinem Harold«. Polykoff erhielt eine Kopie des Briefs mit der Notiz: »Das ist fast zu schön um wahr zu sein!« Mit ihrer sentimentalen Idylle der blonden Mutter mit ihrem Kind hatte Shirley Polykoff eine Ikone geschaffen.
»Meine Mutter wollte so sein wie die Frau aus ihrer Anzeige«, sagt Frick, Polykoffs Tochter. »Sie hatte sich dem Bild der geschmackvoll gekleideten, wohlbehüteten Hausfrau aus dem Vorort verschrieben, eine Zierde ihres Mannes, eine treusorgende Mutter und eine duldsame Ehefrau, die stets hinter ihrem Gatten zurücktritt. Sie wollte dieses blonde Kind haben. Ich war als Kind tatsächlich blond, aber als ich so um die dreizehn war, ist mein Haar dunkler geworden, und meine Mutter hat es mir gebleicht.« Die entscheidende Ironie der frühen Clairol-Kampagnen ist natürlich, dass Shirley Polykoff alles andere war als diese Frau. Sie hatte einen Beruf und lebte nicht im Vorort. »Sie erklärte, Frauen hätten feminin zu sein, sie dürften nicht dogmatisch sein und ihren Mann in den Hintergrund drängen. Aber bei uns stand sie im Vordergrund, mein Vater war ein reiner, friedlicher Intellektueller«, erinnert sich Frick. »Sie war extravagant, emotional und dominant.«
Eine Geschichte, die Polykoff immer wieder erzählte, und die sogar Eingang in ihren Nachruf in der New York Times fand, war, dass eine Frau ihrer Ansicht nach nicht mehr verdienen sollte als ihr Mann; daher habe sie erst nach Georges Tod Anfang der sechziger Jahre zugelassen, dass Foote, Cone & Belding ihr das Gehalt bezahlten, das sie tatsächlich verdient hatte. »Das ist Teil der Legende und hat mit der Wahrheit nichts zu tun«, erklärt Frick. »Das Ideal war für sie immer genauso lebendig wie die parallele Wirklichkeit, in der sie gelebt hat.
Sie hat nie an ihrem Traum gezweifelt, selbst wenn man ihr dessen Schwächen und Widersprüche aufzählte und sie darauf hinwies, dass sie ein ganz anderes Leben führte.« Für Shirley Polykoff war die Haarfarbe eine nützliche Fiktion und eine Möglichkeit, eine Brücke zu bauen zwischen der Frau, die sie war, und der Frau, die sie ihrer Meinung nach sein sollte. Sie wollte aussehen und sich fühlen wie Doris Day, ohne tatsächlich so leben zu müssen. In den 27 Jahren ihrer Ehe, in der sie zwei Kinder zur Welt brachte, übernahm sie ganze zwei Wochen lang die Rolle der Hausfrau. Jeder einzelne Tag war eine Katastrophe, in kulinarischer und in jeder anderen Hinsicht. »Nimm’s mir nicht übel, Schatz«, sagte ihr ein verzweifelter George schließlich. »Du bist eine lausige Köchin.« Am nächsten Montag war sie wieder im Büro.
Diese »nützliche Fiktion« - etwas zu scheinen, ohne es zu sein - war im Amerika der Zeit ein zentrales Thema. Als Teenager bewarb sich Shirley Polykoff um eine Anstellung in einer Versicherungsgesellschaft und wurde abgelehnt. Sie versuchte es bei einer
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