Was der Hund sah
anderen Gesellschaft unter dem Namen Shirley Miller und wurde genommen. Auch ihr Mann George wusste, wie wichtig der Schein war. Als Polykoff ihn kennen lernte, war sie betört von seiner weltmännischen Art, seiner Kenntnis exklusiver europäischer Badeorte und seinem Geschmack für erlesene Delikatessen und Weine. Nach einer Woche fand sie heraus, dass seine Weltgewandtheit nichts als Show war, die er sich in der New York Times angelesen hatte. In Wirklichkeit hatte George nach seinem Schulabschluss bei Macy’s Kisten verladen und abends Jura studiert. Er war ein Hochstapler, genau wie sie auch, denn in den fünfziger Jahren Jude zu sein - oder Ire, Italiener, Afroamerikaner oder eine Frau in den Anfängen des Feminismus - bedeutete, auf tausenderlei Weise lügen zu müssen, um als etwas durchzugehen, das man gar nicht war.
»Das ist genau der Druck, den Einwanderer spüren, wenn sie hier ankommen und das Gefühl haben, dass irgendetwas mit ihrem Äußeren nicht stimmt, dass sie komisch aussehen, dass sie kleiner sind als alle anderen oder dass sie billige Kleider tragen«, meint Frick. »Deswegen haben viele angefangen zu nähen, damit sie die angesagten Schnitte tragen konnten. Sie haben sich umgemodelt. Sie haben sich in Amerikaner verwandelt.« Frick, die ebenfalls in der Werbebranche arbeitet (sie ist Direktorin von Spier NY), ist eine intelligente Frau, die liebevoll und ehrlich über ihre Mutter spricht. »Damals wurden all diese Sprüche wahr, zum Beispiel ›Kleider machen Leute‹ oder ›der erste Eindruck zählt‹.« Die Frage »Tut sie’s oder tut sie’s nicht« spielte also nicht nur darauf an, dass niemand wusste, was der andere tat. Sie bedeutete nicht »Tut sie?« sondern »Ist sie?«. Sie bedeutete: »Ist sie eine zufriedene Hausfrau oder eine Feministin, ist sie eine Jüdin oder eine Christin?«
3.
Im Jahr 1953 arbeitete Ilon Specht als Werbetexterin bei der Agentur McCann-Erickson in New York. Sie war eine 23-jährige Studienabbrecherin aus Kalifornien, rebellisch, unkonventionell und unabhängig, und war an die Ostküste gekommen, um an der Madison Avenue zu arbeiten, denn dort arbeitete man damals. »Das Geschäft war anders«, erinnert sich Susan Schermer, langjährige Freundin von Specht. »Es waren die Siebziger. Die Leute kamen mit Federn im Haar ins Büro.« Bei ihrer ersten Agentur hatte Specht einen berühmten Fernsehspot für das Peace Corps geschrieben. (Eine Einstellung. Keine Schnitte. Ein junges Pärchen am Strand. Im Radio läuft »It’s a big, wide, wonderful world. Eine Stimme aus dem Off verliest Statistiken aus den weniger glücklichen Teilen der Welt: Im Nahen Osten stirbt die Hälfte aller Kinder vor ihrem sechsten Geburtstag und Ähnliches. Das Lied geht zu Ende, eine Nachrichtensendung wird angekündigt, und die junge Frau am Strand stellt einen neuen Sender ein.)
»Ilon? Oh mein Gott! Sie war einer verrücktesten Menschen, mit denen ich je gearbeitet habe«, erinnert sich ihre ehemalige Kollegin Ira Madris und spricht das Wort »verrückt« aus, als wäre es das größte Kompliment. »Genial. Dogmatisch. Und superkreativ. Wir haben damals alle gedacht, dass ein bestimmtes Maß an Neurose einen interessant macht. Ilon war so neurotisch, dass sie superinteressant war.«
Bei McCann schrieb Ilon Specht für L’Oreal, ein französisches Unternehmen, das die Vormachtstellung von Clairol auf dem amerikanischen Markt für Haarfärbemittel brechen wollte. L’Oreal hatte ursprünglich ein paar vergleichende Spots geplant, in denen mit Hilfe von wissenschaftlichen Untersuchungen bewiesen werden sollte, dass ihr neues Produkt Preference dem Konkurrenten Nice’n Easy überlegen war und einen natürlicheren, seidigen Ton lieferte. Doch im letzten Moment wurde die Kampagne gekippt, da die entsprechenden Untersuchungen nicht in den Vereinigten Staaten durchgeführt worden waren. Bei McCann herrschte Panikstimmung. »Wir hatten noch vier Wochen bis zum ersten Sendetermin und absolut nichts, nada«, erzählt Michael Sennott, der damals am L’Oreal-Auftrag mitarbeitete. Die Kreativen - Specht, Art Director Madris und eine Handvoll anderer - gingen in Klausur. »Wir haben in diesem Konferenzzimmer gesessen«, erinnert sich Specht. »Und alle haben darüber geredet, wie die Anzeige aussehen sollte. Sie wollten irgendwas machen mit einer Frau, die am Fenster sitzt, während der Wind durch den Vorhang weht. Sie wissen schon, eines dieser gefaketen Häuser mit langen, edlen
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