Was der Hund sah
Hand, die eine Alka-Seltzer in ein Glas Wasser wirft. Warum nicht zwei Tabletten? Damit verdoppelt ihr die Verkäufen Und genau so war es. Herta war die graue Eminenz. Wir haben sie verehrt.«
Nach ihrem Abschied von Tinker zog Herzog zurück nach Europa, erst nach Deutschland, dann in ihre Heimat Österreich. Für die akademische Fachzeitschrift Society schrieb sie eine Analyse der Fernsehserie Dallas. An verschiedenen Universitäten unterrichtete sie Kommunikationstheorie. Für das Vidal Sassoon Zentrum für die Erfoschung des Antisemitismus in Jerusalem führte sie eine Untersuchung über den Holocaust durch. Heute lebt sie in einem Bergdorf mit dem Namen Leutasch, eine halbe Stunde von Innsbruck entfernt, in einer weißen Bilderbuchhütte mit weit vorspringendem Dach. Sie ist eine zierliche Frau, ihr einst dunkles Haar ist von grauen Strähnen durchzogen. Ihre Sätze sind kurz und präzise, und sie spricht in einwandfreiem Englisch, wenn auch mit starkem österreichischem Einschlag. Wenn man sie mit Shirley Polykoff und Ilon Specht in einen Raum stecken würde, dann würden die beiden anderen Frauen unentwegt reden und dabei mit ihren langen, beringten Fingern gestikulieren, während sie unauffällig in einer Ecke sitzen und zuhören würde.
»Marion Harper hat mich eingestellt, um qualitative Studien durchzuführen - das qualitative Interview, die Spezialität der Österreichischen Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle«, erklärt mir Herzog. »Es ist kein Interview mit Fragen und Antworten, sondern man eröffnet ein Gesprächsthema, das für die Sache relevant ist, und lässt es dann laufen. Der Interviewer redet nicht, sondern hilft den Befragten mit kleinen Fragen auf die Sprünge, zum Beispiel ›Noch etwas?‹. Als Interviewer sollen Sie mich in keiner Weise beeinflussen. Sie sollen mir nur helfen. Es ist ein bisschen wie die Methode der Psychoanalyse.« Herzog sitzt kerzengerade auf einem Wohnzimmersessel. Sie trägt eine schwarze Hose und einen dicken braunen Pullover, um sich in der Kälte der Alpen warm zu halten. Hinter ihr steht eine Regalwand voller Bücher, die Zeugnis vom literarischen und intellektuellen Leben der Nachkriegszeit gaben: Mailer auf Deutsch, Mann auf Englisch. Auf dem Sofa liegt die neueste Ausgabe der Zeitschrift Psyche, offen und mit dem Gesicht nach unten. »Später haben wir dem Prozess noch alle möglichen psychologischen Sachen hinzugefügt, zum Beispiel Wort-Assoziationstests oder Zeichnungen mit Geschichten.
Nehmen wir an, ich befrage Sie, und es geht um Seife. Sie erzählen mir, was Sie in der Seife sehen. Warum Sie sie kaufen. Was Sie an ihr mögen. Was Sie nicht mögen. Am Ende des Interviews sage ich zu Ihnen: ›Zeichnen Sie mir bitte eine Figur. Was Ihnen gerade einfällt. Und wenn Sie die Figur gezeichnet haben, erzählen Sie mir eine Geschichte zu der Figur.‹«
Mithilfe der Zeichnung und der Geschichte wollte Herzog den Befragten etwas entlocken, das ihre unausgesprochenen Bedürfnisse zum Ausdruck brachte. Es war letztlich eine psychoanalytische Sitzung, sagt sie. Doch anders als ein Analytiker fragte sie nicht nach einem Haarfärbemittel, um mehr über ihren Patienten in Erfahrung zu bringen, sondern sie wollte umgekehrt etwas über die Befragten erfahren, um Hinweise für das Haarfärbemittel zu erhalten. Sie erkannte, dass das psychoanalytische Gespräch in beiden Richtungen funktionieren kann. Man konnte die Techniken der Therapie verwenden, um die Geheimnisse des Verkaufs zu ergründen. Nichts anderes taten »Tut sie’s oder tut sie’s nicht?« und »Weil ich es mir wert bin«: Es handelte sich nicht nur um starke und befreiende Botschaften, sondern - und das war ihr eigentlicher Triumph - sie verknüpften diese Botschaft erfolgreich mit einer Flasche Haarfärbemittel. Der Beitrag der Motivationsforscher der Madison Avenue bestand darin zu zeigen, dass sich auf diese Weise alles mit allem verbinden lässt - die Produkte und die Werbebotschaften, mit denen sie sich umgeben, sind genauso Teil unseres psychischen Mobiliars wie die Beziehungen, Gefühle, Emotionen und Erfahrungen, mit denen sich die Psychoanalyse üblicherweise beschäftigt.
»An eines erinnere ich mich noch besonders gut«, erzählt mir Herzog und kommt damit auf einen ihrer Coups bei Tinker zu sprechen. »Wir haben festgestellt, dass die Leute Alka-Seltzer bei Magenverstimmung nehmen, aber auch bei Kopfschmerzen. Dabei haben wir herausgefunden, dass Magenschmerzen die Art von
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