Was der Hund sah
Geheimoperationen des Unternehmens hervorgingen. Er bat Weil lediglich, einige Dokumente zu lesen, die Enron selbst verfasst und veröffentlicht hatte. Woodward traf seinen Informanten nachts in einer Tiefgarage. Weil rief einen Bilanzexperten der University of Michigan an.
Nachdem Weil seinen Artikel verfasst hatte, rief er bei Enron an und bat das Unternehmen um eine Stellungnahme. »Der Bilanzvorstand und sechs oder sieben Leute sind nach Dallas gekommen«, erzählt Weil. Sie trafen sich in einem Konferenzraum im Büro des Wall Street Journal . Die Enron-Manager räumten ein, dass es sich bei den Einnahmen um virtuelle Summen handelte, die sie erzielen wollten. Dann unterhielten sie sich ausführlich mit Weil darüber, wie sicher Enrons Einschätzung dieser zukünftigen Einnahmen war. »Sie haben mir erklärt, wie genial die Leute waren, die diese mathematischen Modelle entwickelt hatten«, berichtet Weil. »Es waren promovierte Mathematiker vom MIT. Ich habe sie gefragt: ›Haben Ihre mathematischen Modelle vorhergesehen, dass der kalifornische Strommarkt dieses Jahr verrückt spielen würde? Nein? Warum nicht?‹ Sie haben geantwortet: ›Na ja, das war eines dieser verrückten Ereignisse.‹ Es war Ende September 2000, also habe ich sie gefragt: ›Was meinen Sie, wer die Wahlen gewinnt? Bush oder Gore?‹ Sie haben geantwortet, dass sie das nicht wüssten. Ich habe gefragt: ›Meinen Sie nicht, dass es ein großer Unterschied ist, ob ein Umweltschützer und Demokrat im Weißen Haus sitzt oder ein Mann der texanischen Ölindustrie?«« Es ging sehr zivilisiert zu. »Über die Zahlen gab es gar keine Auseinandersetzung«, fährt Weil fort. »Es ging lediglich darum, wie sie zu interpretieren waren.«
In der gesamten Geschichte des Enron-Skandals ist dieses Treffen vielleicht der merkwürdigste Moment. Im Enron-Prozess forderte der Staatsanwalt die Geschworenen auf, Jeffrey Skilling ins Gefängnis zu stecken, weil Enron die Wahrheit verschwiegen hatte. Die Aktionäre »haben ein Recht darauf, über die finanzielle Lage des Unternehmens informiert zu werden«, verkündete er. Doch welche Wahrheit hatte Enron verschwiegen? Alles, was Weil über Enron herausfand, stammte von Enron selbst. Und als er um eine Bestätigung der Zahlen bat, stiegen die Manager des Konzerns in ein Flugzeug und setzten sich in einem Konferenzzimmer in Dallas mit ihm an einen Tisch.
Nixon kam nie in die Büros der Washington Post , um Woodward und Bernstein Rede und Antwort zu stehen. Er verschanzte sich im Weißen Haus.
4.
Das zweite und vielleicht schwerwiegendere Problem in Enrons Bilanz war die Verwendung von sogenannten Zweckgesellschaften.
Eine Zweckgesellschaft funktioniert ungefähr wie folgt. Ihrem Unternehmen geht es nicht sonderlich gut, die Verkäufe brechen ein und Sie sind hoch verschuldet. Wenn Sie sich von einer Bank 100 Millionen Dollar leihen, verlangt diese vermutlich exorbitante Zinsen, wenn sie überhaupt bereit ist, Ihnen unter die Arme zu greifen. Aber Sie haben einen Stapel von Ölverträgen, die in den kommenden vier oder fünf Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit 100 Millionen Dollar einbringen werden. Also geben Sie diese an einen Partner, die Zweckgesellschaft, die Sie zusammen mit einem Geldgeber gegründet haben. Die Bank leiht der Zweckgesellschaft 100 Millionen Dollar, und diese gibt die Summe an Sie weiter. Dieser Finanztrick macht einen erheblichen Unterschied. Transaktionen wie diese mussten seinerzeit noch nicht in der Unternehmensbilanz ausgewiesen werden. Das heißt, ein Unternehmen konnte Geld aufnehmen, ohne seine Schuldenlast zu vergrößern. Und weil die Bank mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass der Vertrag die betreffende Summe einbringen wird, ist sie bereit, den Kredit zu sehr viel günstigeren Konditionen zu geben. Zweckgesellschaften sind in der heutigen Unternehmenswelt weit verbreitet.
Bei Enron erfand man einige neue Varianten für das Spiel mit den Zweckgesellschaften. Enron bot diesen nicht immer erstklassig bewertete Sicherheiten wie beispielsweise Ölverträge, die mit großer Wahrscheinlichkeit Einkommen erzielten. Und es verkaufte diese Anlagen nicht immer an Fremdfinanziers, die den Wert der Sicherheit vermutlich hinterfragt hätten. Stattdessen besetzte Enron die Partnergesellschaften mit seinen eigenen Managern. Um die Banken und Partnergesellschaften zu überzeugen, bot Enron außerdem an, bei einem Wertverlust der Sicherheiten mit seinen eigenen Aktien
Weitere Kostenlose Bücher