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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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der Welt gefeiert worden war, sollte länger ins Gefängnis gehen als je ein Schreibtischtäter vor ihm. Er würde das Gefängnis als alter Mann verlassen, wenn überhaupt.
    »Euer Ehren, ich habe nur eine Bitte«, sagte Skillings Anwalt Daniel Petrocelli. »Wenn Sie das Strafmaß um zehn Monate reduzieren, dann würde das an Ihrer Absicht nichts ändern. Und wenn Sie dann noch 15 Prozent für vorzeitige Haftentlassung abziehen, könnte der Angeklagte laut Haftverordnung die Strafe in einer anderen Anstalt verbüßen. Nur eine zehnmonatige Verkürzung ... «
    Es war eine Bitte um Milde. Skilling war kein Mörder und kein Sexualverbrecher. Er war eine Stütze der Houstoner Gesellschaft, und mit einer kleinen Reduzierung der Strafe würde er den Rest seines Lebens nicht unter Schwerstverbrechern verbringen müssen.
    »Abgelehnt«, antwortete Richter Lake.
2.
    Der nationale Sicherheitsexperte Gregory Treverton hat einmal auf den Unterschied zwischen einem Rätsel und einem Geheimnis hingewiesen. Der Aufenthaltsort von Osama bin Laden ist beispielsweise ein Rätsel. Wir können ihn nicht auffinden, weil wir nicht genug Informationen haben. Ein Hinweis zur Lösung des Rätsels könnte von jemandem aus der näheren Umgebung bin Ladens kommen, doch so lange wir diese Quelle nicht erschlossen haben, bleibt bin Laden auf freiem Fuß.
    Die Frage, was nach dem Sturz Saddam Husseins im Irak passieren würde, war dagegen ein Geheimnis. Es war keine Frage, auf die es eine einfache Antwort gab. Geheimnisse erfordern Urteile und Einschätzungen von ungewissen Faktoren; das Problem ist nicht ein Zuwenig an Information, sondern ein Zuviel. Die CIA hatte ihre Einschätzung dessen, was nach dem Einmarsch der Vereinigten Staaten in den Irak passieren würde, genau wie das Pentagon, das Außenministerium, Colin Powell, Dick Cheney und eine Unzahl von Politikwissenschaftlern, Journalisten und Angehörigen von Think Tanks. Und wie jeder Taxifahrer von Bagdad.
    Diese Unterscheidung ist kein bloßes Wortspiel. Wenn Sie der Ansicht sind, dass die Hintergründe und Methoden der Anschläge des 11. September 2001 ein bloßes Rätsel darstellen, dann wäre die logische Konsequenz, die Aktivitäten der Geheimdienste zu verstärken und mehr Spione anzuwerben, um mehr Informationen über al-Qaida zu erhalten. Wenn Sie den 11. September jedoch als Geheimnis verstehen, dann müssten Sie sich fragen, ob zusätzliche Informationen die ganze Angelegenheit nicht nur noch undurchdringlicher machen würden. Sinnvoller wäre eine verbesserte Auswertung der Information durch die Geheimdienste, wir bräuchten intelligente und skeptische Menschen, die aufgrund ihrer Fähigkeiten in der Lage sind, die bereits vorhandenen Daten genauer zu analysieren. Und genauso sinnvoll wäre es, die Terrorismusexperten der CIA zweimal im Monat mit den Terrorismusexperten des FBI, der Nationalen Sicherheitsbehörde und des Verteidigungsministeriums zum Golfspielen zu schicken, um den Informationsfluss zu erleichtern.
    Wenn wir ein Rätsel nicht lösen können, ist der Schuldige schnell ausgemacht: die Person, die uns die Information vorenthalten hat. Geheimnisse sind dagegen trübere Gewässer: Manchmal erhalten wir ungenaue Informationen, manchmal verstehen wir die Information nicht, die wir bekommen haben, und manchmal lässt sich die Frage auch einfach nicht beantworten. Rätsel haben eine befriedigende Lösung, Geheimnisse oft nicht.
    Wer den Prozess gegen Jeffrey Skilling verfolgte, konnte zu dem Schluss kommen, dass der Enron-Skandal ein Rätsel war. Das Unternehmen, so die Anklage, machte zweifelhafte Nebengeschäfte, die niemand verstand. Das Management enthielt den Anlegern entscheidende Informationen vor. Skilling, der Architekt der Unternehmensstrategie, war ein Lügner und Dieb. Wir wussten nicht genug - das klassische Dilemma eines Rätsels - war die Ausgangsbasis der Anklage.
    »Meine Damen und Herren, der Fall ist ganz einfach«, sagte der Staatsanwalt zum Abschluss seines Plädoyers:
    Und weil er so einfach ist, werde ich vermutlich nicht die gesamte Zeit benötigen, die mir zusteht. Der Fall ist schwarz-weiß.
    Es ist ein Fall von Wahrheit und Lügen. Die Aktionäre kaufen einen Anteil am Unternehmen. Damit erwerben sie zwar nicht viele Rechte, aber sie haben ein Recht auf die Wahrheit. Sie haben ein Recht darauf, dass die Führungskräfte und Mitarbeiter des Unternehmens die Interessen der Anleger über ihre eigenen stellen. Sie haben ein Recht darauf, über

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