Was der Nachtwind verspricht
seinen Erinnerungen. Abgesehen von einigen Bemerkungen, die er gelegentlich einstreute, brauchte Wassili nur zuzuhören. Und das tat er auch mit lebhaftem Interesse, da er Dinge über seinen Vater erfuhr, die völlig neu für ihn waren. Lange bevor der Baron aufhörte zu sprechen, begann Wassilis Groll, den er sein ganzes Leben lang gegenüber seinem Vater empfunden hatte, zu schwinden, und als Konstantin mit den Worten schloss : »Ich vermisse ihn immer noch«, war nichts mehr davon übrig.
Wassili war den Tränen nah. Das letzte Mal hatte er als kleiner Junge geweint, und jetzt erstickte er fast. Er vermisste seinen Vater auch - erst in diesem Augenblick wurde ihm klar, wie sehr. Als sein Vater starb, war die anfängliche Trauer über seinen frühen Tod einem immensen Bedauern gewichen, insbesondere darüber, dass er nie die Gelegenheit gehabt hatte, mit Simeon Freundschaft zu schließen, so wie Stefan als Erwachsener zum Freund seines eigenen Vaters, Sandor, geworden war.
Wassili hatte nicht erwartet, dass sein Gespräch mit dem Baron so verlaufen würde. Es verlief nichts so, wie er es erwartet hatte, insbesondere nicht die erste Begegnung mit seiner Verlobten.
Ihre Bemerkung, dass sie nicht das war, was er erwartet hatte, war eine Untertreibung par excellence. Er hatte eine verwöhnte, leichtfertige Aristokratin erwartet, die sich mühelos einschüchtern ließ. Aber er konnte sich beileibe nicht vorstellen, jenes dreiste Frauenzimmer einzuschüchtern, das er gerade getroffen hatte. Sie sagte ihre Meinung unter geradezu schamloser Missachtung aller Konventionen. Sie kleidete sich bäuerlich, wie ein männlicher Bauer noch dazu. Und sie ritt ihr Pferd wie ein Mann, als ob sie im Sattel geboren worden wäre. Es schien nichts zu geben, wovor sie Angst hatte. Und warum zum Teufel wollte sie ihn nicht heiraten?
Wassili war nicht sicher, was er davon halten sollte, aber er war nicht so erleichtert, wie Lazar annahm. Er war zurückgewiesen worden. Zurückgewiesen. Es war das erste Mal, dass ihm so etwas passierte - nein, eigentlich das zweite Mal.
Tania hatte ihn genauso unverblümt zurückgewiesen, als man ihr erzählt hatte, er sei der König, den sie heiraten müsse. »Nicht um alles Gold dieser Welt werde ich euren König heiraten«, hatte sie damals gesagt. Natürlich hatte sie nicht geglaubt, dass sie die Prinzessin Tatiana Janacek war oder dass sie bereits bei ihrer Geburt mit dem jetzigen König von Kardinien verlobt worden war. Selbst wenn sie es geglaubt hätte, hätte das keinen Unterschied gemacht, denn sie hatte Wassili zu jener Zeit verachtet, so wie er sie verachtet hatte.
Aber selbst damals hatte er nicht dieses Gefühl der Zurückweisung verspürt. Und auch nicht dieses unbestimmte Gefühl, das ihn jetzt so ärgerte. Seine Unfähigkeit, diesem Gefühl einen Namen zu geben, trug noch mehr zu seiner Verärgerung bei. Er ließ sich seine Gefühle vor dem Baron jedoch nicht anmerken.
Eigentlich hatte er vorgehabt, sich in Gegenwart von Konstantin Rubliow so zu verhalten, dass dieser ihn für einen völlig inakzeptablen Schwiegersohn halten würde. Aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen mit Frauen hatte er angenommen, seine Verlobte werde ganz versessen darauf sein, ihn zu heiraten, weshalb es beiden Rubliows äußerst schwerfallen werde, die Heirat abzusagen. Deshalb hatte er vorgehabt, ihren Vater zu brüskieren. Aber nachdem er den Baron mit soviel Wertschätzung und echter Zuneigung von seinem Vater hatte sprechen hören, wusste er, dass er das nicht tun konnte, zumindest nicht so offensichtlich wie geplant.
Er hatte bereits gelogen, als er seine verspätete Ankunft mit einem Kranken in seinem Gefolge erklärt hatte. In Wahrheit hatte er bewusst Zeit geschunden und war in jeder Stadt mehrere Tage, ja einmal sogar eine ganze Woche lang geblieben - wegen einer hübschen Rothaarigen -, anstatt sich nur über Nacht dort aufzuhalten. Durch diese Verzögerung wollte er die Zeitspanne bis zum bevorstehenden Winter verkürzen, dessen Kälte eine Reise beschwerlich machen würde. Wenn er Alexandra Rubliow aus irgendeinem Grund mit nach Kardinien nehmen muss te, wollte er sie mit dem misslichen Wetter abschrecken. Er würde ihr natürlich viele Gründe liefern, damit sie diese lächerliche Verlobung auflöste, aber es war ihm auch alles andere höchst willkommen, was ihm hierbei helfen konnte, einschließlich des Wetters.
Doch den Rest seines Planes - zumindest den, der den Baron betraf - konnte er jetzt
Weitere Kostenlose Bücher