Was der Nachtwind verspricht
Alexandras Benehmen missfiel , aber glücklicherweise saß er so, dass Wassili ihn nicht sehen konnte.
Irgendwie brachte sie es fertig, die fürchterlichsten Tischmanieren an den Tag zu legen, und nur einmal unterlief ihr beinahe ein Fehler, als sie am Ende ihres chaotischen Mahls nach der Serviette greifen wollte. Aber sie fing sich gerade noch rechtzeitig und leckte ihre Finger statt dessen ab, dann wischte sie sich ihre klebrigen Hände an ihrer Kleidung ab, wobei sie innerlich das Gesicht verzog. Aber es setzte dem Ganzen sozusagen die Krone auf. Sie konnte ihre Sachen ja auch morgen wieder tragen - oder vielleicht noch etwas länger.
Das war eigentlich gar keine so schlechte Idee. Am Ende der Woche würde man sie meilenweit riechen können. Der herausgeputzte Graf aus Kardinien würde sich gegen den Wind stellen müssen, wenn er ein paar Worte mit ihr wechseln wollte. Sie konnte ihm sagen, dass sie Baden ungesund fand und nie öfter als einmal im Monat badete.
Ihr Auftritt beim Essen hatte jedenfalls die gewünschte Wirkung gehabt. Sie hatte auf die Sekunde genau gewusst , ohne sich durch einen Blick zu ihm hinüber vergewissern zu müssen, wann Wassili begonnen hatte, sie anzustarren. Es war ein beunruhigendes Gefühl gewesen, diese goldfarbenen Augen auf sich zu spüren. Aber er muss te Abscheu oder vielleicht sogar Ekel empfinden. Das hätte jedenfalls sie empfunden, wenn sie sich hätte zusehen können.
Vielleicht ging sie ein wenig zu weit, als sie mit ihren Freunden den Raum verließ und dabei immer noch nicht zu ihm hinüberblickte und ihn beim Vorbeigehen an seinem Tisch einfach ignorierte. Aus Höflichkeit hätte sie zumindest seine Anwesenheit zur Kenntnis nehmen müssen, was sie den ganzen Abend über versäumt hatte. Er war schließlich ihr Verlobter. Aber Höflichkeit stand momentan auf der Liste der verbotenen Dinge, und sie muss te sich streng an diese Liste halten, wenn ihr Plan funktionieren sollte.
Als er wenig später in ihr Zimmer kam, fragte sie sich jedoch, ob ihre zuletzt gezeigte Unhöflichkeit nicht die Ursache seines Besuches war.
Sie hatte ganz gewiss nicht damit gerechnet, dass er so plötzlich bei ihr auftauchte. Sie hatte sich bereits für die Nacht umgezogen und trug eines ihrer einfachen weißen Nachthemden aus Baumwolle. Nina hatte ihr schon das Haar ausgebürstet und schimpfte immer noch vor sich hin, da Alexandra das bereitgestellte Bad partout nicht benutzen wollte. Nina war gerade dabei, den Staub aus ihrer Kleidung zu bürsten, wobei sie sich über die Essensflecken aufregte, die sie auf Alexandras Anweisung hin nicht entfernen durfte. Das Klopfen an der Tür entging ihr vollkommen, aber Alexandra erwartete sowieso nicht von ihr, dass sie zur Tür ging.
Sie ging selbst hin, wobei sie aus reiner Gewohnheit den dunkelblauen Morgenmantel überzog, den Nina für sie herausgelegt hatte. Von Natur aus schamhaft, war sie dankbar für den Morgenmantel, als sie sah, wer auf der Schwelle stand. Sie zog das Kleidungsstück sogar noch enger um ihre Kehle und hielt es dort mit beiden Händen fest, als ob sie sich damit gegen die ungeheure Männlichkeit schützen könnte, die ihr Verlobter ausstrahlte.
Er sagte zunächst kein Wort, seine Augen glitten langsam über sie hinweg - sie schienen heller zu sein, als sie gedacht hatte - und blieben schließlich an ihrem Haar hängen, das in schimmernden Wellen über ihre Schultern floss . Diese wenigen Momente des Schweigens brachten sie aus der Ruhe, und es verwirrte sie noch mehr, als er seine Augen förmlich von ihr wegzureißen schien, um in das Zimmer zu blicken.
Als er Nina bemerkte, sagte er zu ihr: »Deine Herrin und ich möchten etwas unter vier Augen besprechen.«
Angesichts seines befehlenden Tons nickte Nina und ging sofort auf die Tür zu. In Alexandra stieg der Zorn hoch, als sie seine Dreistigkeit und Ninas schnelles Nachgeben miterlebte. Sie wollte auf keinen Fall mit ihm allein gelassen werden, und schon gar nicht nach all den finsteren Andeutungen der Razin-Brüder.
Ihre Stimme klang daher etwas scharf, als sie sagte: »Du brauchst nicht zu gehen, Nina.«
Keiner von beiden beachtete sie. Wassili trat ein, hielt für Nina die Tür auf, damit sie hinausgehen konnte, und schloss die Tür hinter ihr. Alexandra überlegte sich, ob sie Nina vielleicht nachrufen sollte, sie solle in Hörweite bleiben, aber das würde zu sehr nach Feigheit aussehen.
Außerdem waren inzwischen alle ihre Befürchtungen purem Zorn gewichen,
Weitere Kostenlose Bücher