Was der Winter verschwieg (German Edition)
Therapien gewesen, sie wieder in ein normales Leben zurückzuführen, doch dieser Versuch war gnadenlos gescheitert. Der Vorfall und seine Nachwirkungen hatten Sophie gezeigt, dass ein Leben ohne ihre Familie bedeutungslos war.
Richter de Groot war alt und unerschütterlich. Anders als Tariq reagierte er ganz sachlich auf die Beweggründe, die Sophie anführte. „Wenn Sie dieser Gelegenheit den Rücken kehren, wird sie sich Ihnen nie wieder bieten. Ich kann die Stelle nicht für Sie frei halten.“
„Das verstehe ich, Euer Ehren“, erklärte Sophie.
„Ihre Kinder sind Ihre Kinder. Sie werden immer da sein. Diese Position nicht. Ich bin sicher, dass Ihre Familie die Entscheidung unterstützen würde, hier zu bleiben und im Namen der Welt für Gerechtigkeit zu kämpfen.“
Würden sie das? fragte sich Sophie. Hatte sie ihnen jemals eine Wahl gelassen? „Ich bin sicher, dass Sie recht haben, aber ich werde dennoch in die Vereinigten Staaten zurückziehen.“ Da. Sie hatte es laut ausgesprochen. Es klang so einfach und direkt. Sie musste zu ihren Kindern zurückkehren.
Ein schneller Blick zu Tariq verriet ihr, dass er kurz vorm Explodieren war. Sie ließ sich jedoch nicht von dieser Entscheidung abbringen, die sie in dem Moment getroffen hatte, als der Lieferwagen auf dem Wasser aufgeprallt war. Wenn ich das hier überlebe, kehre ich zu meinen Kindern zurück, hatte sie sich in diesem schmerzlich klaren Augenblick geschworen. Ihr psychiatrisches Interventionsteam hatte sie ermutigt, sich immer nur auf den aktuellen Moment zu konzentrieren, um das Eintreten einer posttraumatischen Störung zu verhindern. Ihr Job war es gewesen, Sophie so weit herzurichten, dass sie wieder arbeiten konnte. Doch der Plan war nicht aufgegangen.
Sie wandte sich wieder dem Mann zu, der das letzte Jahr über ihr Mentor gewesen war. „Was im Friedenspalast geschehen ist, hat meine Sicht der Dinge verändert“, erklärte sie. „Ich dachte, ich wüsste, was ich mit meinem Leben anfangen wollte, aber die Ereignisse dieses Abends haben mich gezwungen, meine Prioritäten zu überprüfen.“ Sie ließ den Blick über de Groots Familienfotos gleiten. „Ich schäme mich, zuzugeben, dass es der Begegnung mit dem Tod bedurfte, um zu erkennen, was wirklich wichtig ist. Und mit allem Respekt, es ist nicht diese Mission – zumindest nicht für mich. Es ist nicht das Ansehen oder der Wunsch, die Menschen vor den Grausamkeiten auf der Welt zu retten. Das ist ein Job, und in meinem Job bin ich ersetzbar. In meinem Leben, meiner Familie, bin ich es nicht. Ich habe Kinder, die ich nicht annähernd oft genug sehe. Ich habe so viel wiedergutzumachen. Und damit fange ich jetzt an.“
„Du bist verrückt“, beschuldigte Tariq sie, während Sophie in ihrer Wohnung herumwuselte und anfing, ihre Sachen in Kisten und Koffern zu verstauen. „Du bist komplett irre geworden. Ich flehe dich an, Sophie. Wirf diese Gelegenheit nicht weg.“
„Das tue ich nicht. Ich gebe sie an dich weiter. Sie werden dir die Position anbieten, und du wirst sie meisterhaft ausfüllen.“
„Diesen Job hast du dir aber verdient“, beharrte er. „Deine Kinder sind schon über das Alter hinaus, in dem sie rund um die Uhr die Betreuung ihrer Mutter brauchen.“ Er machte eine abwehrende Handbewegung, bevor sie überhaupt etwas sagen konnte. „Ich weise nur auf das Offensichtliche hin, meine Blume. Max ist beinahe ein Teenager, und Daisy hat ein eigenes Baby, um das sie sich kümmern muss.“
„Sie brauchen mich mehr denn je“, widersprach Sophie. „Die Tatsache, dass sie älter sind, bedeutet nur, dass mir noch weniger Zeit bleibt. Und außerdem gibt es jetzt noch Charlie. Ein Baby, Tariq. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe, nicht für Daisy und Charlie da zu sein.“
„Du warst bei der Geburt dabei, und Daisy wird das schon schaffen, da bin ich mir sicher. Ich meine, sie ist deine Tochter. Du warst selber eine sehr junge Mutter und hast das wunderbar gemeistert.“
Sophie hatte nichts dergleichen getan, aber das schien außer ihr niemand zu sehen. Sie hatte ihr Leben beinah ausschließlich dem Beruf gewidmet, hatte all die Dinge getan, derer es für eine erfolgreiche Ausbildung und Karriere bedurfte. Doch neben ihrem Job gab es noch so viel Dinge mehr, was sie aber erst erkannte hatte, als sie beinahe alles verloren hätte.
Sie klebte einen Aufkleber auf eine Plastikkiste, die verschifft werden sollte. Ihre persönlichen Sachen nahmen erstaunlich
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