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Was der Winter verschwieg (German Edition)

Was der Winter verschwieg (German Edition)

Titel: Was der Winter verschwieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Wiggs
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sicher zählte sie sich nicht zu den Opfern des Abends. André, ihr Fahrer, war ein Opfer. Die Agenten, die im Ballsaal erschossen worden waren. Und auch die Männer aus dem Lieferwagen. Fatou hatte ihr Baby verloren und stand kurz vor der dritten Operation. Brooks Fordham erholte sich immer noch von seinem Koma. Sophie hingegen war tropfnass als Überlebende davongekommen. Und hatte dabei entdeckt, dass sie sich selbst fremd war. Sie wollte alle in dem Glauben lassen, dass sich bei ihr nichts verändert hatte. Es behagte ihr gar nicht, Menschen in ihr Herz und ihre Seele schauen zu lassen. Und doch fühlte sie sich seltsam schwerelos, haltlos. Missverstanden.
    Unmittelbar nach dem Vorfall hatte sie für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Nachrichten irgendwie bis in die amerikanischen oder kanadischen Medien durchgedrungen waren, ihre Kinder in St. Croix und ihre Eltern in Seattle angerufen. Doch dort hatte man von dem ganzen Drama noch nichts mitbekommen. Also hatte sie ihrer Familie nur erzählt, dass es eine „sicherheitsrelevante Situation“ im Friedenspalast gegeben hatte, es ihr aber gut ging und sie sich in keinerlei Gefahr befand. Der Vorfall war kein großes Geheimnis, aber sie wollte nicht, dass ihre Familie sich Sorgen machte. Am Telefon hatte sie nicht geweint, sich irgendwie seltsam losgelöst von sich selbst gefühlt, als wenn sie ihre eigenen Handlungen aus der Ferne betrachtete.
    Wie sie den beiden Psychiatern erklärt hatte, die sie behandelten: „Wenn ich zulasse, dass das zu einer großen Sache wird, lässt das keinen Raum mehr für andere wichtige Dinge.“ In den unzähligen Stunden intensiver Therapie hatte sie erkannt, was diese wichtigen Dinge waren.
    Sie hatte nicht darüber gesprochen, was während der Entführung geschehen war, auch nicht mit dem medizinischen und psychologischen Team, das direkt danach zu ihrer Betreuung abgestellt worden war. Dr. Maarten hatte versucht, sie davon zu überzeugen, dass nur die genaue Analyse eines jeden Augenblicks ihr helfen würde, die Dämonen zu bekämpfen.
    „Sie verstehen das nicht“, hatte sie ihm gesagt. „Es gibt keine Dämonen. Sie haben sich in dem Moment in Luft aufgelöst, in dem ich überlebt habe.“
    „Sind Sie sicher?“ Er glaubte offensichtlich, dass sie entweder log oder sich etwas vormachte.
    „Natürlich bin ich sicher. Ich habe jeden Punkt auf Ihrem posttraumatischen Anamnesebogen sorgfältig studiert. Ich leide unter keinem dieser Symptome und werde das auch in Zukunft nicht tun.“
    Nun warf sie Tariq einen Blick zu. Er wusste genauso gut wie sie, was an diesem Tag geschehen würde. Sie hatten ihr eine Stelle angeboten, von der die meisten Juristen nur träumen konnten, und an diesem Tag sollte sie ihre Entscheidung mitteilen.
    Sie hatte sich inzwischen an Bodyguards gewöhnt. In sehr kurzer Zeit waren die verstärkten Sicherheitsvorkehrungen für sie ganz normal geworden. So normal, wie eine so surreale Situation eben sein konnte. Wollte sie, dass ihr weiteres Leben so aussah? Unter ständiger Beobachtung stehend, immer umringt von bewaffneten Fremden, die einzig auf ihre Sicherheit bedacht waren?
    „Dann wollen wir mal“, sagte Tariq.
    „Auf in die Höhle des Hexenmeisters“, erwiderte sie.
    Die Flügeltür zum Büro des Obersten Richters öffnete sich. Sophie und Tariq traten ein. Einen Herzschlag lang überkam Sophie Panik – nicht wegen des Vorfalls, sondern wegen etwas viel Tiefgreifenderem. Der hochwohlgeborene Willem de Groot saß an seinem Schreibtisch, der vor einer Reihe Buntglasfenster stand. In dem von hinten einfallenden juwelenfarbigen Licht sah er beeindruckend, überirdisch und einschüchternd aus. Er war „der Hexenmeister“.
    Ehrlich gesagt hatte er Ähnlichkeit mit Sophies Vater. Aber anders als der gefürchtete Ragnar Lindstrom, Partner einer Anwaltskanzlei in Seattle, hatte Richter De Groot eine Sammlung von Familienfotos in seinem Büro. Fotos von ihm mit Kindern und Enkeln aller Altersklassen, die so gar nicht zu den gewichtigen Folianten der Rechtsprechung in den deckenhohen Bücherregalen passen wollten. In diesem Augenblick war der Richter jedoch ganz aufs Geschäftliche konzentriert. Er wollte Sophie kämpfen und siegen sehen. In seinen Augen war sie zu Höherem berufen.
    Zu seiner Version von Höherem.
    Sie und Tariq standen ihm gegenüber. De Groots Assistenten standen unauffällig an der Seite.
    „Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen“, sagte Sophie. „Und für Ihr

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