Was der Winter verschwieg (German Edition)
dass die Mütter der Jungen herauskommen und sie begrüßen oder gar hineinbitten würden, doch das taten sie nicht. Sophie wollte hier in Avalon so gerne Anschluss finden, aber der Fahrdienst schien dafür nicht der richtige Weg zu sein.
Die Jungs hatten während der Fahrt nicht viel zu sagen – zumindest nicht zu ihr. Untereinander schienen sie in einer geheimen, unverständlichen Sprache zu kommunizieren, die den exzessiven Einsatz von Ellbogen und unterdrücktem Kichern beinhaltete.
In der Eishalle stellte sie sich beim Trainer vor, der nicht viel älter aussah als Max. Ein eifrig wirkender Mann mit Apfelbäckchen und einer ungewöhnlich hohen Stimme. Die Jungen schienen ihn jedoch zu respektieren und absolvierten ohne Murren die Aufwärmübungen.
Ein wenig unsicher gesellte sich Sophie zu einer Gruppe Mütter, die hinter der Plexiglasabtrennung auf den Zuschauerrängen saßen. Das war der schwerste Teil. Mit einem Mal war sie gehemmt. Ihre Tasche aus Italien, ihr Designergürtel und die teuren Handschuhe – sie war eindeutig overdressed und nicht im Geringsten wie die typische Mutter angezogen. Und doch wollte sie nichts sehnlicher als das. Sie wollte entspannt wirken, sich in ihrer Haut wohlfühlen. Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg.
„Hi, ich bin die Mutter von Max, Sophie Bellamy“, sagte sie zu den Frauen und versuchte, jeden Namen zu behalten, als die Frauen sich vorstellten. „Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?“
Die Mütter rutschten, um ihr Platz zu machen.
„Ellie“, sagte eine der Frauen. Sie strickte etwas aus bunt gemusterter Wolle.
„Max’ Mutter.“ Eine Frau namens Gretchen hob die Augenbrauen. Sie tauschte einen Blick mit der Frau neben ihr, die hübsche olivfarbene Haut, glänzend schwarzes Haar und einen unfreundlichen Blick hatte. „Maria, das ist die Mutter von Max.“
Maria verschränkte die Arme vor der Brust. „Was du nicht sagst.“
„Schön, Sie endlich mal kennenzulernen“, warf eine Frau ein, die sich als Gina vorgestellt hatte. Sophie war nicht sicher, ob sie das Wort „endlich“ absichtlich so betont hatte.
„Sie tragen immer noch den Namen Bellamy“, bemerkte Maria. „Ist das nicht der Name ihres Exmannes?“
Sophie nickte. Wieder einmal wurde ihr schmerzlich bewusst, dass in einer Kleinstadt jeder über alles Bescheid wusste. „Meine ganzen Lizenzen und Zertifikate sind auf den Namen ausgestellt. Und auch alles, was ich je publiziert habe, ist unter dem Namen erschienen. Daher habe ich ihn behalten.“ Während sie erklärte, beobachtete sie die Mienen der Frauen und erkannte, dass sie ihnen eine einfache, politisch korrekte Erklärung hätte geben sollen: Ich wollte den gleichen Namen tragen wie meine Kinder. Zu spät. Wenn sie das jetzt noch sagen würde, klänge es so, als wäre es ihr gerade erst eingefallen.
„Sind Sie nicht diejenige, die in Europa gelebt hat?“, fragte eine Frau namens Vickie.
Oh, dahin geht die Reise also, dachte Sophie. Anhand des Tonfalls und der Blicke erkannte sie, dass die Frauen ihre Entscheidung nicht guthießen. Sie beschloss, das Thema direkt anzugehen. In dem Jahr, in dem sie von ihren Kindern getrennt gewesen war, hatte sie gelernt, dass der unangenehmste Teil ihres Arrangements war, es anderen zu erklären.
Die Leute glaubten zwar, den heutigen Familienkonstellationen gegenüber offen zu sein, doch diese Offenheit kam schnell an ihre Grenzen.
Sie leben bei ihrem Vater
rangierte auf gleicher Stufe mit
Sie sind noch nie beim Arzt gewesen
oder
Sie dürfen rauchen
. Sophie wusste, was diese Frauen von ihr hielten. In ihren Augen war sie ein fürchterlicher Mensch, eine Frau, die sich gerade dann von ihren Kindern abgewandt hatte, als diese sie am meisten brauchten, nämlich kurz nach der Scheidung. Welche Mutter würde so etwas tun?
„Stimmt“, sagte Sophie. „Ich habe in Den Haag in Holland gelebt.“
„Das muss so aufregend gewesen sein.“
„Ja, manchmal schon.“ Sie ermahnte sich, nicht zickig zu werden. Um Max’ willen wollte sie mit den Müttern seiner Freunde zurechtkommen. Auch wenn sie sich unter diesen Frauen nicht wirklich wohlfühlte. Ihr ganzes Erwachsenenleben lang war sie über ihren Beruf definiert worden – Anwältin, Diplomatin. Was würde sie jetzt ausmachen, wo sie keinen Beruf mehr hatte? Ihre Rolle als Mutter? Reichte das aus, um von dieser kühlen Gruppe aufgenommen zu werden?
„Wir hatten immer diese Bilder von Ihnen als Jetsetterin mit einer Reihe
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