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Was der Winter verschwieg (German Edition)

Was der Winter verschwieg (German Edition)

Titel: Was der Winter verschwieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Wiggs
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das Elternsein ausmachte? Dass man den Atem anhielt, bis das Kind sich entschieden hatte, sich zu benehmen? Wann war sie so abhängig von dem Verhalten ihres Sohnes geworden? Warum hatte sie das Gefühl, wenn Charlie jetzt anfangen würde zu weinen, wäre es ihr Fehler?
    Er schaute zu ihr, und sie schenkte ihm ein ermutigendes Lächeln. Dann starrte er wieder unverfroren ihre Mom an. Er fing nicht an zu weinen, was schon mal ein gutes Zeichen war. Dann endlich schenkte er ihr ein zahnloses Lächeln und einen kleinen Sabberfaden.
    Gut gemacht, Kleiner, dachte Daisy und stieß langsam den angehaltenen Atem aus. Ihre Mom behielt ihn noch eine ganze Weile auf dem Arm und schäkerte mit ihm.
    „Setz dich doch, Max“, sagte Daisy zu ihrem Bruder. „Du kannst auf Charlie aufpassen, während ich Mom das Haus zeige.“
    „Ganz offensichtlich mag er dich“, merkte ihre Mutter an, als sie Charlie vorsichtig in Max’ Arme übergab. „Was für ein kluger Junge.“
    „Der allerklügste“, stimmte Max zu.
    Daisy beobachtete die drei mit etwas Abstand und merkte, dass sich ihre Anspannung bezüglich des Besuchs ihrer Mutter etwas gelegt hatte. Ihre Mom war total verliebt in das Baby und hatte noch nicht einmal über das unordentliche kleine Haus die Nase gerümpft. Die Führung war schnell vorüber, und Sophie hatte nicht eine einzige Kritik geäußert.
    Noch etwas, was Geburtsvorbereitungskurse und Bücher einem nicht verrieten: Babys hatten magische Fähigkeiten. Ein feierfreudiges Teenagermädchen, das schwanger wurde, war Gegenstand von allerlei Klatsch und Tratsch. Man tuschelte über seine mangelnde Vorsicht und nannte es womöglich hinter seinem Rücken eine Schlampe. Es wurde aber auch bemitleidet, vor allem später in der Schwangerschaft, wenn es dick und rotgesichtig war. Alle auf der Welt liebten es, so ein Mädchen zu hassen – ein Mädchen, wie Daisy es einst gewesen war.
    Doch mit der Geburt des Babys geschah ein Wunder. Und zwar nicht nur das normale Wunder der Geburt. Das war toll und genauso, wie es überall beschrieben wurde. Die große Überraschung aber war, dass sich allein durch Charlies Anwesenheit alles zu verändern schien. Angefangen mit seiner Mutter. Daisy war nicht länger ein dummer Teenager, der sich hatte schwängern lassen, keine fette Loserin mehr. Anstatt auf sie herabzuschauen, schauten die Menschen jetzt zu ihr auf. Sie war eine Mutter. Sie war es wert, gepriesen zu werden, weil sie der Welt das kostbare Geschenk eines Babys gemacht hatte. In Supermärkten und Zügen erhielt sie eine Sonderbehandlung. Plötzlich wurde sie von der Welt respektiert.
    Doch damit hörte der Zauber des Babys noch lange nicht auf. Er verwandelte nervtötende Gören wie Daisys Bruder in Onkel Max. Und als Daisy jetzt ihre Mutter beobachtete, sah sie, wie der Effekt auch vor ihr nicht haltmachte.
    „Ich muss ihn kurz noch füttern“, sagte sie, „dann können wir los.“
    „Ich geh solange an den Computer.“ Max verschwand in dem kleinen Nebenzimmer, in dem Daisys PC stand. Max spielte irgendein Online-Eishockeyspiel, das ausgefeiltere Handlungsstränge hatte als jede Daily Soap.
    Daisy setzte sich aufs Sofa und legte mit einer Hand ihre Brust frei. Charlie ergriff die Gelegenheit wie ein Profi – der er ja auch war. Schon nach kurzer Zeit war es Daisy nicht mehr peinlich gewesen, in Gegenwart anderer zu stillen. Man musste nur ein paar Minuten die jämmerlichen Schreie eines hungrigen Neugeborenen ertragen, und schon war das eigene Schamgefühl nicht mehr so wichtig. Vor der Geburt war das Entblößen einer Brust einem Vorsprechen für ein „Wilde Mädchen“-Video gleichgekommen. Mit dem Baby war es ein politisches Statement und ein Akt mütterlichen Mitgefühls.
    „Entschuldige bitte mein Hemd“, sagte Daisy. „Ich wollte mich nicht umziehen, bevor ich ihn gestillt habe. Er spuckt wie ein Geysir. Ich habe schon den Arzt gefragt, aber er meinte, das wäre bei einigen Babys normal und kein Grund zur Besorgnis, solange er weiter an Gewicht zulegt.“
    „Du hast das auch gemacht.“
    Das war neu für Daisy. „Du hast mich gestillt?“
    „Natürlich. Du wirkst überrascht.“
    Daisy
war
überrascht. Es war schwer – nein, unmöglich –, sich ihre Mutter mit einem Baby an der Brust vorzustellen. Hatte sie die gleichen Ängste und Wunder durchgemacht, die Daisy erlebte, wenn sie ihr Kind in den Armen hielt? War sie mitten in der Nacht aufgewacht und an die Wiege geeilt, nur um sicherzugehen, dass

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