Was der Winter verschwieg (German Edition)
dann möchte ich doch etwas mehr in ihr Leben eingebunden sein.“
„Es ist wirklich erstaunlich, was manche Frauen auf sich nehmen, um Mutter zu werden.“ Sophie schüttelte den Kopf und schaute Bo an. „Ich habe zwei Kinder und einen Enkel.“
„Warte mal.“ Bo blinzelte wie ein Idiot. „Zwei Kinder und einen …
was
?“
„Einen Enkel.“
Bo stieß seinen berühmten langen Pfiff aus.
Wütend warf Noah ihm einen Blick zu, der nichts Gutes verhieß. Sollte Bo jetzt den Altersunterschied erwähnen, wäre er tot. Doch Bo hob nur seine Flasche zu einem Toast – sein Glück.
Es war aber auch verrückt, sich vorzustellen, dass Sophie schon Großmutter war. Irgendwie übte das auf Noah einen gewissen Reiz aus. Sie hatte etwas in ihrem Leben erreicht, das für ihn bisher noch in einer weit entfernten, unerreichbaren Zukunft gelegen hatte. Obwohl sie geschieden und allein war, war sie auch das verbindende Element in ihrer Familie, ob sie das nun wahrhaben wollte oder nicht.
Sie trank noch einen Schluck. „Meine Kinder und mein Enkel sind der einzige Grund, warum ich überhaupt hier bin. Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich eine Vollzeitmutter sein. Das ist meine zweite Chance, und ich werde die beste Mutter aller Zeiten sein. Ich komme in die Hall of Fame der Mütter. Ich werde so eine gute Mutter sein, dass es schon beinahe Angst macht.“
„Der Mommynator.“ Noah stieß mit ihr an.
„Ich schwöre, ich werde Supermom und Supergrandma sein – alles in einer Person.“
Nachdenklich nippte Bo an seinem Bier. „Ja. Viel Glück dabei.“
16. KAPITEL
A n ihrem ersten Tag auf dem College fühlte sich Daisy, als ob etwas Entscheidendes fehlte. Und das war natürlich ihr kleiner Sohn Charlie. Seit dem Augenblick seiner Geburt hatte sie keinen einzigen Atemzug mehr getan, ohne an ihn zu denken: Charlie. Seine Windeltasche. Seinen Schnuller. Sein liebstes Kuscheltier. Das Gel gegen die Schmerzen beim Zahnen, Babytücher, Wechselkleidung. Schlief er, oder war er wach? Hungrig? Zufrieden? Weinte er? Tat er gerade etwas, was sie sofort nach ihrer Kamera greifen ließ? Zum Beispiel seine Hände untersuchen, als wären sie die lang verschollene Bundeslade?
Es war erstaunlich, wie ein so kleiner Junge von der ungefähren Größe eines Footballs ihr ganzes Leben derart vereinnahmen konnte.
Und natürlich lösten die Gedanken an ihn eine unvermeidliche körperliche Reaktion aus. Sie spürte ein Kribbeln in den Brüsten, und die Milch schoss ein. Zum Glück hatte sie sich mit entsprechenden Einlagen ausstaffiert, sodass niemand etwas bemerkte.
Ein ganzer Industriezweig war aus der Tatsache, dass Mütter ihre Babys allein ließen, entstanden. Es gab Babyfone, die jedes noch so kleine Geräusch übertrugen. Webcams boten jederzeit einen Einblick in alles, was gerade passierte. Es gab Spielzeuge, die für das Baby die Stimme der Mutter wiedergaben. Bücher, die einem rieten, eine Decke mit dem eigenen Geruch oder ein Foto von sich beim Kind zurückzulassen. Kurz, es gab nichts, was es nicht gab, um der Mutter das Verlassen ihres Babys so einfach wie möglich zu machen.
Daisy machte regen Gebrauch davon. Sie hatte die extra saugfähigen Stilleinlagen, und auf ihrem Handy war die Nummer ihrer Mutter auf der Kurzwahltaste eingespeichert. Daisy hatte sie bereits angerufen. Zwei Mal. Trotzdem lief sie über den Campus, als wäre sie nicht komplett.
Gleichzeitig fühlte sie sich leicht und irgendwie beschwingt.
Sie hatte vergessen, wie es war, ohne Charlie und sein ganzes Zeug irgendwo hinzugehen. Hier auf dem Campus gab es nur sie, einen Rucksack und eine Tasche mit ihrer Kamera. Sie fühlte sich wie die alte Daisy, die sich nur um sich hatte kümmern müssen. Sie hatte diese Daisy nicht sonderlich gemocht, aber sich selbst zu mögen war sowieso nicht so wichtig. Sie wusste, ihr würde es auf dem College gefallen, was sofort Schuldgefühle in ihr auslöste. Wie konnte sie etwas mögen, was sie von ihrem Baby trennte? Machte sie das zu einer schlechten Mutter?
Beim Blick auf ihre Mitstudenten fühlte sie sich wie ein Beobachter. Eine Außenseiterin.
In der Highschool war sie eines der beliebten Mädchen gewesen. Das Partygirl. Alle dachten, sie würde feiern, weil es Spaß machte. Sie sahen nicht, dass sie es nur tat, um ihre Eltern zu ärgern. Sie mochte es nicht, wenn die beiden böse auf sie waren, aber wenigstens wurde sie dann von ihnen beachtet. Sonst konzentrierten sie sich immer nur auf andere Dinge, wie
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