Was die Seele krank macht und was sie heilt
»Was Bert Hellinger über die Beziehung zwischen Frau und Mann äußert, ist für mich unreflektiertes patriarchales Denken aus dem 19. Jahrhundert.« Es spricht für die Fairneß von Krüll, wenn sie gleichzeitig zugesteht: »Wie er mit Schwerkranken arbeitet, finde ich äußerst beeindruckend. Man sieht, wie diese Menschen an einen Kernpunkt ihrer Lebensproblematik geführt werden. Und ich bin sicher - von einigen weiß ich es auch -, daß sie durch die ja manchmal nur ganz kurze Arbeit mit Bert Hellinger einen wesentlichen positiven Impuls mitnehmen.« 19
Auch mich hat die Feststellung Hellingers, als ich sie zum ersten Mal hörte, ziemlich skeptisch gemacht. Doch in all den Aufstellungen, die ich bislang durchgeführt oder als Stellvertreter und Beobachter miterlebt habe, hat sich tatsächlich eine solche Tendenz gezeigt. Man könnte dies natürlich damit erklären, daß die Stellvertreter das Weltbild des Therapeuten unbewußt aufnehmen und darstellen. Mit solchen Argumenten würde man jedoch die Familienaufstellung als Methode völlig in Frage stellen. Die praktische Erfahrung zeigt, daß das Ergebnis von Aufstellungen nicht nur wahr 20 , sondern auch für alle Beteiligten oft höchst unerwartet ist - selbst für den Therapeuten. Eine Regel kann man aus der beobachtenden Tendenz im Verhalten der Frauen ohnehin nicht ableiten, und Hellinger will sich so auch gar nicht verstanden wissen. Ihm geht es darum, daß Frauen und Männer sich gegenseitig achten.
Hellinger erklärt sich die tendenziell geringere Achtung der Frauen gegenüber den Männern damit, daß Frauen durch ihre Erfahrungen mit Schwangerschaft und Geburt ihre besondere Bedeutung spüren. In biologischer Hinsicht haben sie die wichtigere Rolle erhalten. Der Mann macht all diese tiefen Erfahrungen nicht und muß sich seiner Männlichkeit auf andere Weise versichern. Männer müssen aktiv etwas tun, meist in der Gesellschaft mit anderen Männern, um ihr Mann-Sein zu spüren.
Ebenbürtigkeit
Im Gegensatz zum Eltern-Kind-Verhältnis stehen die Partner auf einer Stufe. Wenn jedoch einer der Partner in die Rolle des Kindes schlüpft und von dem anderen ein Elternverhalten erwartet, wird die Paarbeziehung gestört.
Sagt beispielsweise die Frau zu ihrem Mann: »Ohne dich kann ich nicht leben!« oder »Ich bringe mich um, wenn du mich verläßt!«, dann ist das ein Verhalten, das gegen die Ebenbürtigkeit der Partner verstößt, und der Mann muß die Frau verlassen. Der Anspruch, vom anderen permanent umsorgt zu werden, ist der Anspruch eines Kindes.
Zur Ebenbürtigkeit zählt auch die Frage, ob man den anderen so sein lassen kann, wie er ist. Wenn ich jemand kennenlerne und mit dem Vorsatz in die Partnerschaft oder Ehe gehe, »im Augenblick bin ich noch nicht mit ihr zufrieden, aber sie wird sich unter meiner Mithilfe noch dahin entwickeln, wo sie hin soll«, dann bin ich schon in die Elternrolle geschlüpft. Eine langfristige stabile Paarbeziehung wird so nicht zustande kommen können.
Auch das Muster von Geben und Nehmen muß in der Beziehung stimmen. Wenn der eine immer nur gibt und der andere immer nur nimmt, entspricht das der Kind-Eltern-Beziehung und nicht der eines Paares. In der Paarbeziehung ist es auch sinnvoll, darauf zu achten, daß man nicht mehr gibt, als der andere zurückgeben kann oder will. Zur Liebe zwischen Mann und Frau gehört nämlich, daß sie in gleicher Intensität beantwortet wird. Liebe soll also auf Gegenliebe stoßen, sonst zerbröckelt das Fundament der Partnerschaft. So gesehen, stimmt das Gegenteil von dem, was Peter Lauster in seinem bekannten Ratgeber »Die Liebe« schreibt:
»Das Ausbleiben der Gegenliebe der anderen kann mich nicht frustrieren, wenn ich Gegenliebe nicht erwarte, wenn ich nichts erhoffe. Das Ego ist zur Ruhe gekommen, alles Streben nach Ich-Stärkung hat ein Ende. In diesem Moment bin ich erleuchtet und frei, die Lebensenergie kann strömen ( ...). In diesem Moment herrscht höchste Zufriedenheit und Weisheit.« 21
Ob man mit dieser Einstellung »erleuchtet und frei« werden kann, erscheint mir zweifelhaft. Eine Bindung zwischen Mann und Frau wird jedoch sicherlich nicht zustande kommen. Was das Geben und Nehmen betrifft, sei noch einmal an das Beispiel erinnert, in dem die Frau dem Mann die Ausbildung finanzierte. Wenn der Mann das Erhaltene nicht auf Heller und Pfennig zurückzahlt, ist das Scheitern der Beziehung wahrscheinlich.
Zum Ausgleichsprinzip in der Partnerschaft und Ehe gehört auch
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