Was die Seele krank macht und was sie heilt
Priorität eingeräumt wird. Steht bei Hellinger die Frau nur am Herd und kümmert sich um die Kindererziehung?
Zunächst einmal scheint mir wichtig, daß Hellinger die »Nur-Hausfrau« und Mutter, im Gegensatz zur Gesellschaft und vor allem im Gegensatz zu vielen Frauen, nicht abwertet, sondern achtet. Daß heutzutage die Männer mehr an der Familien- und Hausarbeit beteiligt werden als früher und die Frauen weniger Kinder gebären und dafür beruflich engagierter sind, sieht er weder positiv noch negativ. Für den erfahrenen Therapeuten Hellinger ist dies eine gesellschaftliche Entwicklung, die er anerkennt, wie sie ist.
Doch die Einstellung, mit der eine Frau auf Schwangerschaft verzichtet, hat für Hellinger großes Gewicht. Wenn sich eine Frau gegen Familie und Kinder entscheidet, »aber so, daß sie Familie und Kinder und Mann verachtet oder herabsetzt, dann nimmt dieses Nicht dem, was sie gewählt hat, etwas weg. Es wird dadurch weniger. Umgekehrt, wenn sie das Nicht, das sie um ihrer Karriere willen läßt, dennoch als etwas Großes achtet, fügt dieses Nicht dem, was sie erwählt hat, etwas hinzu. Es wird dadurch größer und mehr.« (OL: 51)
Meines Erachtens wird durch solch differenzierte Überlegungen deutlich, daß man Hellinger unrecht tut, wenn man ihm Frauenfeindlichkeit unterstellt.
Kommen wir nun zu jenem Halbsatz, mit dem Frauen wesentlich weniger Probleme haben: Der Mann dient dem Weiblichen. Für Hellinger ist das keine Theorie, sondern seine Wahrnehmung. Die Frau ist das Zentrum der Familie. Sie hütet das Leben und gibt es weiter. Was der Mann in der Öffentlichkeit macht, steht in der Regel im Dienst der Familie. Er vertritt die Familie nach außen und sorgt für den Schutz und die Grundlagen der Familie. Deswegen hat er in äußeren Dingen einen gewissen Vorrang, während die Frau in der Familie Vorrang hat.
Hellinger verweist darauf, daß Frauen im allgemeinen mehr Kompentenz in familiären Fragen eingeräumt wird. Bei Scheidungen werden die Kinder fast automatisch der Frau zugesprochen, obwohl sie zuweilen an der Seite des Vaters genausogut oder besser aufgehoben wären. Bei unehelichen Kindern wird der Mann ohnehin kaum berücksichtigt. Er hat wenig Rechte, dafür aber um so mehr Pflichten. In diesen familiären Fragen, so Hellinger etwas provokativ, »herrscht also das Matriarchat« (AWI: 173). Die in letzter Zeit zu beobachtende Tendenz, daß die Kindererziehung immer mehr eine gemeinsame Sache wird, begrüßt er.
In der Praxis der Familienaufstellung läßt sich leicht feststellen, ob es für das Wohl aller am besten ist, wenn der Mann an erster Stelle steht oder die Frau. Fühlen sich alle am wohlsten, wenn die Frau links vom Mann steht, ist das gleichbedeutend mit einer Vorrangposition des Mannes. Steht der Mann links von der Frau, nimmt die Frau die erste Stelle ein. In 70 Prozent der Fälle geht es den Stellvertretern in einer Familienaufstellung am besten, wenn der Mann rechts steht, und in 30 Prozent der Fälle, wenn die Frau rechts steht.
Wenn Hellinger wirklich ein Anhänger des Patriarchats wäre, würde er sagen: »Männer müssen an die erste Stelle, weil sie Männer sind.« Doch das liegt ihm völlig fern. Statt dessen fragt er, bei welcher Paarkonstellation fühlen sich alle in der Familie am wohlsten? In 70 Prozent der Fälle ist das nun einmal der Fall, wenn der Mann vor der Frau rangiert. Ob uns das gefällt oder nicht, ist eine völlig andere Frage. In den 30 Prozent der Fälle, in denen die Frau an die erste Stelle muß, findet man häufig eine oder mehrere ausgeklammerte Personen aus dem Herkunftssystem der Frau, die wieder ins Blickfeld gerückt werden müssen.
Wenn hier von Rangfolge die Rede ist, muß noch einmal daran erinnert werden, daß Mann und Frau, die ja nicht in einem F.ltern-Kind-Verhältnis zueinander stehen, prinzipiell ebenbürtig sind. Die Rangfolge bezieht sich auf die Funktion , die Mann und Frau für die Familie ausüben. Derjenige, der die Sicherheit für die Familie gewährleistet, hat in der Regel den ersten Rang. Das ist meist der Mann.
Achtet die Frau den Mann weniger als der Mann die Frau?
Wie wir schon anhand der Kinderfrage bei Scheidungen gesehen haben, ist Hellinger der Ansicht, daß Frauen den Männern gegenüber oft weniger Achtung entgegenbringen als umgekehrt. Und schon wieder erhebt sich die Frage: Diskriminiert Hellinger Frauen?
Die Familiensoziologin Marianne Krüll schrieb über Hellinger in »Psychologie heute«:
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