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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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hat.«
    Auf der anderen Seite sagte Gloria gerade: »Schweigen Sie, Heather. Nancy, würden Sie uns vielleicht einen Moment allein lassen?«
    »Na klar, lassen Sie sich Zeit.«
     
    Nancy war ganz ruhig aus dem Zimmer gegangen, aber als sie bei ihren Kollegen eintrat, hüpfte sie beinahe. Die junge Frau war zufrieden, und das konnte sie auch sein, dachte Willoughby. Sie hatte ganze Arbeit geleistet. Dass Heather Pincharelli nicht erwähnt hatte, war eine schwerwiegende Unterlassung gewesen. Zudem hatte Miriam immer wieder erwähnt gehabt, dass Heather an diesem Tag ziemlich viel Geld eingesteckt hatte, weil ihre Sparbüchse zu Hause leer war.
    Aber das reichte nicht aus. Sie konnten ihr nicht nachweisen, dass sie nicht Heather Bethany war, so viel war ihm als Einzigem im Raum bewusst. Er würde sein Leben darauf verwetten, dass sie log, aber er konnte es nicht beweisen.
    »Na?«, fragte sie die drei Männer.
    »Wir haben auf dich gewartet«, sagte Lenhardt.
    Willoughby hob die Versandtasche vom Boden auf, obwohl er wusste, was sich darin befand: eine blaue Jeanstasche mit roter Häkelborte. Trotz des lichtundurchlässigen Umschlags war sie über die Jahre ausgebleicht, und dennoch sah sie genauso aus wie beschrieben; nicht jedoch der Inhalt, was einzig und allein daran lag, dass nichts drin war. Die Tasche war auf dem Parkplatz aufgetaucht, leer, mit einem Reifenabdruck darauf. Man war davon ausgegangen, dass Heather sie bei der Entführung hatte fallen lassen und dass irgendein Dreckskerl darüber gestolpert war, den Inhalt an sich genommen und die Tasche dann weggeworfen hatte.
    Aus diesem Grund konnten sie dem, was sich ihrer Erinnerung
nach darin befunden hatte, auch nichts entgegensetzen. Hier war die Tasche, genau wie beschrieben. Wenn sie also Heather Bethany war, warum erinnerte sie sich dann nicht an den Musiklehrer ihrer Schwester? Hatte Pincharelli damals gelogen? War er zusammengebrochen und hatte Willoughby erzählt, was er hören wollte, weil es da noch ein anderes Geheimnis zu hüten galt? Auch er war tot. Wo immer sie hinsahen, starben die Leute oder waren bereits tot. Das war nur natürlich im Laufe von dreißig Jahren. Dave war weg. Willoughbys Evelyn war nicht mehr. Die Frau und der Sohn von Stan Dunham waren gestorben, und der Mann selbst ebenfalls so gut wie tot. Penelope Jackson war verschwunden und hatte nichts außer einem grünen Valiant zurückgelassen. Und das Einzige, was sich halbwegs sicher feststellen ließ, war, dass die Frau im Vernehmungsraum nicht Penelope Jackson war. Aber sie hatte die Handtasche beschreiben können. War sie deshalb bereits Heather Bethany? Er dachte wieder an das Flimmern in der Luft, an den Augenblick, in dem er sicher gewesen war, dass sie log.
    »Verdammt noch mal«, sagte Lenhardt.
    »Also, bald ist ihre Mutter da«, sagte Infante. »Es wäre nett gewesen, wenn wir ihr die Ungewissheit hätten ersparen können, wenn wir ihr gleich hätten mitteilen können, dass die Frau ihre Tochter ist. Wenigstens gibt es noch die DNA-Bestimmung. Wenn wir die denn erst haben! Selbst wenn wir drängeln, wird es ein bis zwei Tage dauern.«
    »Ja«, sagte Willoughby verzagt. »Was das angeht …«
     
    22:25 Uhr
    Das Flugzeug schien ebenso brummend vor sich hin zu dösen wie die Passagiere, die fast alle müde und verstimmt waren, weil der Flug mehr als zwei Stunden Verspätung hatte. Am Fensterplatz in der ersten Klasse – auf den letzten Drücker hatte
sie nur noch dieses Ticket bekommen – fand Miriam keinen Schlaf und starrte auf die Wolkendecke unter dem Flugzeug. Es dauerte lange, bis sie endlich durch die Wolken hindurchdrangen, doch dann lag Baltimore schließlich unter ihr, zum ersten Mal seit fast zwanzig Jahren. In ihrer Erinnerung war es nicht so ausgedehnt gewesen, die Lichter erstreckten sich nun über ein wesentlich größeres Gebiet. Sie war allerdings auch seit 1968 nicht mehr nach Baltimore geflogen. Damals hieß der Flughafen noch »Friendship«, und Miriam war aus Kanada zurückgekehrt. Sie hatte die Kinder die Ferien über nach Ottawa zu ihren Eltern gebracht, weg von den Unruhen im Land. Oh, wie sie sich für den Rückflug ausstaffiert hatten, beide Mädchen in identischen Kleidern, die ihre Großmutter mit ihnen bei Holt Renfrew gekauft hatte, feine, gestreifte Etuikleider mit weißen Krägelchen, die mit Druckknöpfen befestigt waren. Sunnys Kleid sah bereits nach zwanzig Minuten ganz fürchterlich aus, aber Heather hatte kaum eine Knitterfalte darin,

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