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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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genommen.«
     
    20:40 Uhr
    Infante schlich sich in den Raum zu Willoughby und Lenhardt.
    »Du solltest doch die Mutter am Flughafen abholen«, sagte Lenhardt, aber für Willoughby klang es weder ärgerlich noch angriffslustig.
    »Ich bin mit einem früheren Flieger gekommen, und ihr Flug hat mindestens zwei Stunden Verspätung. Ich dachte, ich nutze die Zeit, um zu sehen, wie es hier läuft.«
    »Nancy macht das gut«, sagte Lenhardt. »Sie lässt sich Zeit. Nimmt sie schon seit fast vier Stunden ran, kommt immer wieder fast bis zu der eigentlichen Entführung und fängt dann wieder von vorn an. Es macht sie verrückt. Sie will uns aus irgendeinem Grund unbedingt den schlimmen Teil erzählen.«
    Infante warf einen Blick auf seine Uhr. »Um halb zehn muss ich los zum Flughafen. Meinst du, ich kriege noch das Hauptprogramm mit?«
    Lenhardt ballte seine Hand und ließ sein Handgelenk kreisen. Dann starrte er auf die Faust. »Die schwarze Zauberkugel meint, es sieht gut aus.«

    20:50 Uhr
    »Also, Sie sind draußen und … es ist dunkel?«
    »Nein, es ist noch hell, am 29. März sind die Tage schon länger. Wir gehen hinaus …«
    »Es wurde kein Alarm ausgelöst?«
    »Es wurde kein Alarm ausgelöst. Draußen stand ein Lieferwagen. Er machte die Tür auf, und da war Sunny. Noch bevor ich etwas registrieren konnte, schubste er mich ins Wageninnere. Sunny lag gefesselt auf dem Boden. Ich habe mich gewehrt, wenn man das so nennen kann, ein kleines Mädchen, das verzweifelt gegen einen Erwachsenen ausholt. Aber es war völlig zwecklos. Ich frage mich – meinen Sie, er hat Sunny mit derselben Geschichte geködert? Woher kannte er uns? Haben Sie das herausfinden können, Detective? Woher kannte uns Stan Dunham, und warum hat er sich ausgerechnet uns ausgesucht?«
    »Stan Dunham wohnt in einem Altersheim in Sykesville.« Pause. »Wussten Sie das?«
    »Es ist ja nicht so, dass wir Brieffreunde geblieben wären.« Es klang verächtlich, aber nicht gequält, wie Willoughby auffiel. Auch hier hatten sie genau abgesprochen, wie viel sie über Dunham erzählen wollten. Sie hatten nicht die Absicht, ihr zu erzählen, dass er heute nicht einmal mehr wusste, wie er hieß. Aber die Tatsache, dass er noch lebte, hinterließ bei ihr nicht den Eindruck, der zu erwarten gewesen wäre. Hätte sie nicht betroffener reagieren müssen, dass der Mann, der ihr Leben zerstört hatte, nur dreißig Meilen weiter wohnte?
    »Also gut. Als er Sie gepackt hat, haben Sie da … etwas verloren, etwas zurückgelassen?«
    »Was meinen Sie denn?«
    »Genau das. Haben Sie etwas zurückgelassen?«
    Sie riss die Augen auf. »Die Handtasche. Natürlich, ich habe meine Handtasche fallen lassen. Wie ich diese Tasche vermisst habe. Ich weiß, das wird Ihnen komisch vorkommen, aber da
hinten in dem Auto habe ich mehr um die Tasche gejammert als darüber nachgedacht …« Sie fing wieder an zu weinen, und ihre Anwältin reichte ihr ein Taschentuch, auch wenn es Tränen waren, bei denen Taschentücher nichts bewirkten, sie fielen so dicht wie Regen.
    »Können Sie die Tasche beschreiben?«
    »B-b-b-beschreiben?« Willoughby musste an sich halten, um nicht nach der Hand des Sergeants zu greifen. Das war er – der Augenblick, den er mit Nancy heute Morgen abgesprochen hatte.
    »Ja, können Sie sie beschreiben? Können Sie mir sagen, wie sie aussah, was drin war?«
    Es schien, als würde sie darüber nachdenken, was Willoughby seltsam vorkam. Entweder sie wusste es oder nicht.
    Zum ersten Mal erhob die Anwältin ihre Stimme. »Ach kommen Sie schon, Nancy, was macht das für einen Unterschied, ob sie eine Handtasche beschreiben kann, die sie mit elf gehabt hat?«
    »Sie hat ja auch die Snoopy-Armbanduhr sehr genau beschrieben.«
    »Das war vor dreißig Jahren. So was vergisst man doch. Ich erinnere mich noch nicht mal mehr daran, was ich gestern zu Mittag gegessen habe …«
    »Jeansstoff mit roter Häkelborte«, sagte sie bestimmt, ihre Stimme übertönte die der Anwältin. »An den Henkeln aus Holz mit weißen Knöpfen befestigt. Das Innenfutter war aus leichter Baumwolle, und man konnte verschiedene Überzüge darüber streifen und damit das Aussehen verändern.«
    »Und was war drin?«
    »Geld natürlich, ein kleiner Kamm.«
    »Kein Schlüssel oder Lippenstift?«
    »Sunny hatte den Schlüssel, und ich durfte mich noch nicht schminken, nur Bonne-Belle-Lipgloss benutzen.«
    »Das war das Einzige, was in der Tasche war?«

    »Was?«
    »Ein kleiner Kamm, Lipgloss und

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