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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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Geld? Wie viel?«
    »Nicht sehr viel. Vielleicht fünf Dollar, minus das, was ich für die Kinokarte bezahlt hatte. Und ich weiß nicht mehr genau, ob ich einen Bonne Belle hatte. Ich habe nur gesagt, dass ich mich noch nicht schminken durfte. Ich kann mich nicht an alles erinnern. Meine Güte, wissen Sie denn, was Sie in Ihrer Handtasche haben?«
    »Meinen Geldbeutel«, erwiderte Nancy Porter. »Tic Tacs. Reinigungstücher. Ich habe ein sechs Monate altes Baby. Quittungen …«
    »Also gut, Sie können das, ich nicht. Hey, als sie mich Dienstagabend angehalten haben, wusste ich noch nicht mal, warum mein Portemonnaie nicht in meiner Tasche war.«
    »Darauf kommen wir noch.«
     
    21:10 Uhr
    »Und dann, im Lieferwagen …«
    »Wir fuhren. Wir fuhren und fuhren. Es kam uns sehr lange vor, aber vielleicht hatte ich auch nur ein ganz anderes Zeitgefühl. Irgendwann hielt er an und stieg aus. Wir versuchten die Tür zu öffnen …«
    »Sie waren nicht gefesselt, wie Ihre Schwester?«
    »Nein, er hatte es eilig. Er hat mich einfach gepackt und hineingeschubst. Ich habe keine Ahnung, wie er Sunny überwältigen konnte.«
    »Aber Sie sagten doch, wir haben versucht, die Tür zu öffnen …«
    »Ich habe sie natürlich losgebunden. Ich habe sie doch nicht gefesselt gelassen. Er hielt an, und wir versuchten die Tür zu öffnen. Sie war von außen abgeschlossen. Und zwischen den Sitzen und dem Ladeteil des Lieferwagens war ein Gitter. Deshalb kamen wir da auch nicht raus.«

    »Haben Sie geschrien?«
    Sie sah Nancy verständnislos an.
    »Während er draußen vor dem Wagen war, haben Sie da geschrien oder sonst wie versucht, Aufmerksamkeit zu erregen?«
    »Nein, wir wussten ja nicht, wo wir waren oder ob uns jemand hören konnte. Außerdem hat er uns mit schrecklichen Dingen gedroht, deshalb haben wir nicht geschrien.«
    Nancy sah zum Aufnahmegerät hinüber, sagte aber nichts. Das war sehr gut, dachte Willoughby. Ihr Schweigen diente als Ansporn, und sie wartete einfach ab.
    »Wir waren irgendwo auf dem Land. Da waren … Grillen.«
    »Grillen? Im März?«
    »Irgendein merkwürdiges Geräusch. Vielleicht war es auch einfach das Fehlen von Geräuschen.« Sie wandte sich an Gloria. »Muss ich auf die Einzelheiten eingehen? Ist das wirklich nötig?« Dann, ohne eine Antwort abzuwarten, fing sie mit der Geschichte an, die sie angeblich so furchtbar ungern erzählen wollte. »Er brachte uns in dieses Haus, irgendwo in der Pampa. Ein Farmhaus. Er wollte etwas … mit uns machen. Sunny wehrte sich, und er brachte sie um. Ich glaube nicht, dass er es mit Absicht getan hat. Er schien selbst überrascht zu sein. Sogar traurig, kann das sein? Dass er traurig war? Vielleicht hatte er von Anfang an die Absicht gehabt, uns beide zu töten, aber als es passierte, merkte er, dass er dazu nicht fähig war. Er hat sie umgebracht und mir dann erzählt, dass ich ihn niemals verlassen dürfe. Dass ich bei ihm und seiner Familie bleiben und ein Teil von ihnen werden müsse. Und wenn ich das nicht tun würde … also wenn ich es nicht tun würde, dann hätte er keine andere Wahl, als mit mir dasselbe zu machen wie mit Sunny. ›Sie ist tot‹, sagte er. ›Ich kann sie nicht wieder lebendig machen, aber ich kann dir ein neues Leben geben, wenn du mich lässt.‹«
    Willoughby musste an einen Highway denken, wie die Luft im Spätsommer darüber flimmerte, wie bei Sonnenuntergang
alles leicht verzerrt aussah. Diese Geschichte war von einer ähnlichen Beschaffenheit. Es hatte mit den Grillen angefangen, auch wenn sie diese anschließend in Abrede gestellt hatte. Alles, was er wusste, war, dass sie sich am Rande der Wahrheit entlanghangelte und immer wieder die Grenzen überschritt, dass einige Teile ganz genau beschrieben waren, aber andere … zusammengeschustert waren. Konstruiert. Für wen? Zu welchem Zweck?
    »Seine Familie? Also gab es noch andere Leute, die davon wussten?«
    »Sie wussten nicht alles. Ich weiß nicht genau, was er seiner Frau und seinem Sohn erzählt hat – vielleicht, dass ich von daheim weggelaufen sei und er mich in Baltimore irgendwo aufgelesen habe, ein Mädchen, das auf keinen Fall mehr nach Hause konnte. Alles, was ich weiß, ist, dass er in der Bücherei alte Zeitungen durchforstet hat, bis er fand, was er suchte – eine Geschichte über ein Feuer in Ohio ein paar Jahre zuvor. Dabei war eine ganze Familie ums Leben gekommen. Er hatte sich den Namen des jüngsten Kindes rausgesucht und auf dessen Namen eine

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