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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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selbst bei der Landung noch nicht. Die Leute konnten einen damals noch direkt am Gate abholen. Sie erinnerte sich an Dave, wie er im Terminal auf sie wartete, blass und mit hängenden Schultern, deprimiert von seinem Job. Als er sie ein paar Jahre später mit seinem Traum von einem Laden konfrontierte, kam ihr diese Erinnerung wieder in den Sinn, und sie stimmte bereitwillig zu. Sie wollte, dass er glücklich wurde. Selbst wenn es ihr dabei schlecht ging, hatte sie für Dave nie etwas anderes gewollt, als dass er Frieden fände.
    Plötzlich war da ein Loch ohne Lichter unter dem Flugzeug, ein Abgrund. Das Flugzeug hatte gewendet und war über die Chesapeake-Bucht wieder zurückgeflogen. Obwohl die Landung selbst eigentlich ganz sanft war, drehte sich Miriam noch einmal der Magen um von ihrer seltsamen turistas -Krankheit, die sie all die Jahre in Mexiko nie gehabt hatte, und sie suchte in den Sitztaschen nach einer Spucktüte, aber es gab keine. Vielleicht verteilten die Fluggesellschaften keine mehr, vielleicht
erwartete man von den Leuten, dass ihnen beim Fliegen nicht mehr übel wurde, zumindest in der ersten Klasse. Oder jemand hatte sie mitgenommen und die überarbeiteten Flugbegleiterinnen hatten es nicht bemerkt. Miriam tat das Einzige, was ihr unter diesen Umständen übrig blieb. Sie schluckte.

Teil VIII
    WIE DIE DINGE STEHEN (1989)

Kapitel 34
    Die letzte Etappe von Miriams Reise wurde durch die Tatsache verkompliziert, dass sie kein Spanisch konnte. Ein wahrer Teufelskreis, dachte sie, während sie in dem chaotischen, höhlenartigen Busbahnhof wartete, wo es ihr gelungen war, ihr Erste-Klasse-Ticket nach Cuernavaca mit nur geringfügigen Missverständnissen zu erstehen. Sie war durch den Zoll gekommen, hatte das Taxisystem von Mexico City gemeistert, es bis hierher geschafft und war sehr stolz auf sich, bis zu dem Moment, wo sie sich vom Kartenschalter entfernte, mit dem Busticket nach Cuernavaca in der zitternden Hand.
    Wie sollte sie nun unter all den vielen Bussen, die da draußen nebeneinanderstanden und schwarzen Qualm ausstießen, den richtigen finden? Die Ankündigungen aus den Lautsprechern waren nichts weiter als ein statisches Knistern, in keiner Sprache verständlich. Es gab keinen Auskunftsschalter, soweit sie sehen konnte, anscheinend sprach hier keiner Englisch, und die paar Brocken Spanisch, die sie in Texas gelernt hatte, halfen auch nicht weiter. Die Leute sahen sie verständnislos an, wenn sie ihre Fragen hervorstammelte, und ließen dann einen Wortschwall über sie ergehen. Sie wollten ja helfen. Sie blickten freundlich drein, ihre Gesten waren liebenswürdig und herzlich. Sie verstanden nur ganz einfach nichts von dem, was sie sagte.
    Sie besah sich ihre Fahrkarte genauer, und als ihr auffiel, dass sie blau war, sah sie sich nach anderen blauen Tickets in den Händen der Leute um. Da war eine Frau, die ebenfalls eine blaue Fahrkarte in der Hand hielt, eine müde aussehende Frau
mit einem Profil, das man von Maya-Kunstwerken her kannte – die edle falkenähnliche Nase, die flache Stirn.
    »Cuernavaca?«, fragte Miriam.
    Die Frau wog Miriams Frage bedächtig ab, als ob sie ein Leben lang mit einfachen Fragen konfrontiert worden sei, die sich meist als Unheil bringend und gefährlich herausstellten.
    »Sí« , sagte sie. » Ya me voy.« Sie wandte sich ab, als ob sie Miriams Frage als sanfte Aufforderung, sich in Bewegung zu setzen, verstanden hätte. Als sie sich umdrehte und mit einem Blick über ihre Schulter bemerkte, dass Miriam ihr folgte, ging sie noch schneller, was mit den zwei großen Einkaufstaschen gar nicht so einfach war. Aber für Miriam mit ihrem Rollkoffer war es noch schwieriger, und sie fiel immer weiter zurück. Die Frau warf einen raschen Blick nach hinten und sah, wie Miriam sich abmühte, und dann fiel ihr das Ticket in ihrer Hand auf und dass es genauso aussah wie ihres.
    »Cuernavaca« , sagte sie. Sie hatte verstanden. Sie wartete, bis Miriam auf gleicher Höhe mit ihr war und führte sie dann zum richtigen Bus. »Cuernavaca«, sagte sie noch einmal lächelnd, als ob Miriam ein Kind wäre, das ein entscheidendes neues Wort gelernt hat. »Cuernavaca«, sagte sie beim Einsteigen und setzte sich auf den Platz auf der gegenüberliegenden Seite des Gangs. Dann versuchte sie es mit ein paar neuen Vokabeln, Wörter, von denen Miriam wusste, dass sie sie kennen sollte, Wörter, die sie einmal gelernt, aber wieder vergessen hatte. Die Frau versuchte es noch einmal,

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