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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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weiter darauf ein . Dave hat wenigstens so getan, als ob ich ihm was bedeute , dachte Willoughby. »Im Spanischen gibt es eine ganze Reihe von Verben, die passiv konstruiert werden. Me falta un tenedor . Wörtlich: Mir fehlt eine Gabel – anstatt: Ich habe keine Gabel. Im Spanischen stoßen einem die Dinge öfter zu.«
    »Miriam, ich habe Sie oder Dave nie kritisiert. Jeder von Ihnen musste auf seine Weise mit der Situation klarkommen.«
    »Blödsinn, Chet. Sie haben Ihre Meinung nur für sich behalten, und dafür liebe ich Sie.«
    Es wäre ihm lieber gewesen, diese Worte – so flippig, so bedeutungslos – hätten ihn nicht so getroffen. Dafür liebe ich Sie.
    »Bleiben Sie mit uns in Verbindung«, sagte er. »Mit der Polizei, meine ich. Falls irgendetwas auftaucht …«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Bleiben Sie trotzdem mit uns in Verbindung«, sagte er noch einmal, bettelte regelrecht darum, dabei wusste er bereits, dass sie es nicht tun würde, nicht auf Dauer.
    Ein paar Wochen später, einen Tag vor seiner offiziellen Pensionierung, lieh er sich noch einmal die Bethany-Akte aus. Als er sie zurückgab, waren darin alle Hinweise auf die richtigen Eltern der Mädchen verschwunden. Dave hatte immer beteuert, dass dieser Teil der Geschichte in eine Sackgasse führe, ähnlich der Algonquin Lane selbst, die am Leakin Park aufhörte. Kurz nachdem die Mädchen verschwunden waren, fuhren immer wieder ungehobelte, neugierige Typen langsam am
Haus vorbei. Wenn sie am Ende der Straße umdrehen mussten, traten ihre schaulustigen Absichten zutage. Wieder andere kamen in den Laden und kauften Kleinigkeiten, um ihre Schuldgefühle zu lindern. Wie diese Leute Dave zugesetzt hatten, wie verletzt er war. »Ich bin eine Monstrosität«, beschwerte er sich mehr als einmal bei Chet. »Notieren Sie sich die Nummernschilder«, riet ihm Chet. »Schreiben Sie die Namen auf, wenn sie mit Scheck- oder Kreditkarte bezahlen. Man weiß nie, wer da vorbeifährt.« Und weil Dave Dave war, hatte er genau das getan. Die Nummernschilder aufgeschrieben, jeden Anruf dokumentiert, bei dem einfach aufgelegt wurde, das Leben seiner Familie wie eine Schneekugel geschüttelt und darauf gewartet, dass sich das Bild darin möglicherweise veränderte. Aber ganz egal, wie oft er es in den vierzehn Jahren neu angeordnet hatte, die Teile rieselten alle immer wieder an ihren alten Platz zurück – mit Ausnahme von Miriam.

Teil IX
    SONNTAG

Kapitel 37
    »Wir könnten lügen wegen der Knochen«, sagte Infante.
    »Aber wir haben ja gar nichts in der Hand«, entgegnete Lenhardt. »Wir haben nichts gefunden.«
    »Ganz genau.«
    Infante, Lenhardt, Nancy und Willoughby warteten in der Empfangshalle des Sheraton auf Miriam Toles. Sie wollten sie zum Frühstück treffen, ein Frühstück, bei dem sie ihr offenbaren mussten, dass sie nicht die geringste Ahnung hatten, wer die Frau war, die sie heute treffen wollte; die Frau, für die sie über zweitausend Meilen angereist war. Sie konnte Miriams Tochter sein. Oder eine geniale Lügnerin, die beschlossen hatte, sie alle eine Woche lang zum Narren zu halten. Zu welchem Zweck? Wollte sie Geld? Hatte sie Langeweile? War sie völlig durchgeknallt? Oder hütete sie ihre aktuelle Identität, weil der Name einen Haftbefehl für die Person, die sie gerade war, zutage fördern würde? Das war das Einzige, was für Infante einen Sinn ergab. Er glaubte keine Minute lang, dass sie sich Sorgen um ihre Privatsphäre machte. Aus seiner Perspektive hatte sie Spaß an der Aufmerksamkeit, genoss sie jedes Zusammentreffen. Nein, da musste es noch etwas geben, das sie verbarg, und sie versteckte es hinter Heather Bethanys Identität und benutzte den niederträchtigen alten Mord, um sie abzulenken.
    »Wir hatten uns so viel von den Skelettresten erhofft. Was hätten wir damit nicht alles beweisen können! Die Eltern sind vielleicht nicht die leiblichen, aber die Schwestern sind blutsverwandt. Richtig?«
    Willoughby nickte. Noch vor kaum vierundzwanzig Stunden
hatte Nancy ihn dazu überreden müssen, bei dem Interview anwesend zu sein. Jetzt wären sie ihn um nichts in der Welt mehr losgeworden. Lenhardt war äußerst anständig zu ihm und wollte ihn nicht brüskieren. Infante hatte noch nicht verwunden, wie er mit der Fallakte umgegangen und dann dafür eingetreten war, dass Miriam nach Baltimore kam, noch bevor sie wussten, was was und wer wer war. Was hatte er sich bloß dabei gedacht? Wie hatte er diese entscheidenden Informationen bloß

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