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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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dort vertreten würde. Sie kreischte regelrecht vor Freude und biss sich vor Aufregung in die Knöchel ihrer Hand.
    »Aber Sie kommen doch mit, oder? Ich hätte Angst, ganz alleine die Auswahl zu treffen.«

    »Ich denke, das kannst du schon. Du hast wirklich einen Blick dafür, Pepper. Alleine wie du die Dinge präsentierst, wie du auf das Gesamtbild des Ladens achtest – ich schwör’s dir, selbst wenn ich Schrott einkaufe, schaffst du es noch, dass sich die Leute drum reißen.«
    »Was wir hier verkaufen, sind Träume, stimmt’s? Visionen von dem, was die Leute gern sein würden. Niemand braucht etwas von dem, was wir auf Lager haben, noch nicht mal von der Kleidung. Deshalb muss man die Ware so anordnen, dass sie für sich spricht. Ich weiß auch nicht, ich höre mich bestimmt ziemlich durchgeknallt an …«
    »Das klingt völlig plausibel. Bevor ich dich eingestellt habe, habe ich höchst selten einen Tag freigenommen. Jetzt kann ich auch mal länger wegbleiben … zumindest für zwanzig Minuten.«
    Daves Arbeitssucht war ein alter Scherz zwischen ihnen, und Pepper prustete los, ein lautes, heiseres Krächzen, das ihn zusammenzucken ließ. Sie wusste nicht, welcher Tag es war. Sie wusste wahrscheinlich auch nicht, dass Dave Bethany einmal zwei Töchter gehabt hatte, und noch weniger darüber, was mit ihnen passiert war. Es stimmte schon, dass ein Bild von ihnen in einem Silberrahmen auf seinem Schreibtisch im Hinterzimmer stand, aber Pepper fragte nie danach. Es war nicht so, dass sie nicht neugierig gewesen wäre, eher darauf bedacht, sich nicht zu weit in seine Vergangenheit vorzuwagen, für den Fall, dass er von ihr dann ähnliche Offenheit erwartete. Er mochte Pepper wirklich. Er hätte sie gern richtig geliebt oder so etwas wie Vatergefühle für sie empfunden, aber so weit würde es nie kommen. Selbst wenn Pepper weniger zurückhaltend gewesen wäre, hätte er es sich nie gestattet, einer jungen Frau gegenüber Vatergefühle zu entwickeln. In den letzten vierzehn Jahren hatte Dave wiederholt Geliebte gehabt, Frauen fürs Bett. Aber er hatte niemals in Betracht gezogen, noch einmal zu heiraten, und er hatte nicht das Bedürfnis, aus einer
Fremden eine Tochter zu machen. Pepper war seine Angestellte und sonst nichts.
     
    Natürlich tratschten die Leute anschließend, dass mehr dahintergesteckt hätte. Als die Rettungssanitäter Dave am nächsten Tag von der alten Ulme hinterm Haus abschnitten – von eben jenem Ast, an dem früher die Reifenschaukel gehangen hatte, bis das Tau schließlich gerissen war -, fanden sie einen Zettel, der sie zu einem Stapel Papiere auf seinem Schreibtisch führte, in dem Arbeitszimmer, wo er früher gechantet hatte, während er den Ghee zum Sonnenaufgang und -untergang verbrannte. Niemand braucht, was wir hier verkaufen , hatte Pepper gesagt, deshalb muss man es so anordnen, dass es für sich spricht . Dave hoffte, dass man seine Anordnung – seine Leiche, die Papiere, sein Scheckbuch, das fein säuberlich aufgeräumte Haus – verstehen würde. Sein Brief war vielleicht kein offizielles Testament, aber seine Absichten wurden darin deutlich. Er wollte, dass Pepper das Geschäft weiterführte, während alle anderen Vermögenswerte, einschließlich die vom Verkauf des Hauses, in einen Fonds für seine Töchter wanderten, die alle für tot hielten, und 2009 an diverse Wohlfahrtsorganisationen übergehen sollten.
    »Ich fühle mich schrecklich«, sagte Willoughby in das Knistern des Ferngesprächs, nachdem er Miriam über ihre ehemaligen Arbeitskollegen im Maklerbüro aufgespürt hatte. »Just an diesem Tag habe ich ihm …«
    »Lassen Sie sich davon nicht runterziehen. Ich tu’s ja auch nicht, zumindest fühle ich mich nicht schuldig daran.«
    »Ja, aber …«, selbst der unvollendete Satz klang noch grausam genug.
    »Auch ich vergesse nichts«, sagte Miriam. »Ich erinnere mich nur anders. Das heißt, ich wache nicht jeden Morgen auf und haue mir die Bratpfanne über den Schädel und wundere mich dann, dass ich Kopfschmerzen habe. Das war Daves Lösung.

    Der Schmerz ist da. Er wird immer da sein. Er muss nicht geschürt oder genährt werden. Dave und ich haben auf unterschiedliche Art getrauert, aber getrauert haben wir gleichermaßen.«
    »Ich habe nie etwas anderes behauptet, Miriam.«
    »Ich gehe hier auf eine Sprachschule. Wussten Sie das? Ich lerne mit zweiundfünfzig noch eine neue Sprache.«
    »Ich könnte mir das auch vorstellen«, meinte er, aber sie ging nicht

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