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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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Wortwahl. Wahrhaftig Tinnef. Die Dinge in seinem Laden waren wunderschön, alles Unikate, aber selbst die Familien, die er durch den Fünffachen Pfad kennengelernt hatte, Gleichgesinnte in spiritueller Hinsicht, hatten nur zögerlich seine materiellen Werte angenommen. Hätte er seinen Laden in New York oder San Francisco oder selbst Chicago eröffnet, wäre er der volle Erfolg. Aber da war er nun mal, in Baltimore, was er nie vorgehabt hatte. Hier hatte er Miriam kennengelernt und eine Familie gegründet. Wie konnte er sich etwas anderes wünschen?
    Das Windspiel über der Tür tönte leise. Eine Frau mittleren Alters kam herein. In der Annahme, sie wolle nur nach dem Weg fragen, schrieb Dave sie sofort ab. Dann fiel ihm auf, dass sie wahrscheinlich kaum älter als er war, vielleicht fünfundvierzig. Ihre Aufmachung, ein flauschiges rosa Strickkostüm und eine kastenförmige Handtasche, hatten ihn in die Irre geführt.
    »Ich dachte, bei Ihnen würde ich vielleicht etwas Ausgefallenes für das Osternest finden«, sagte sie und stammelte ein bisschen unsicher, als ob sie sich sorgte, dass dieser ausgefallene Laden ausgefallenes Verhalten verlangte. »Ein kleines Geschenk.«
    Verdammt . Miriam hatte ihm nahegelegt, mehr Saisonartikel zu führen, und er hatte nicht auf sie gehört. Weihnachten hatte er natürlich mitgemacht, aber Ostern schien ihm etwas weit hergeholt. »Ich fürchte, so etwas habe ich leider nicht.«

    »Überhaupt nichts?« Die Frau war völlig erstaunt. »Es muss nicht für Ostern sein, nur ein Ostermotiv. Ein Ei, ein Küken, ein Hase. Egal was.«
    »Hasen«, wiederholte er. »Ich glaube, ich habe da ein paar Holzhasen aus Mexiko. Aber für einen Osterkorb sind sie etwas groß.«
    Er ging zu dem Regal, in dem lateinamerikanisches Kunsthandwerk stand, holte behutsam einen der geschnitzten Hasen herunter und reichte ihn der Frau, sanft, als wäre es ein Baby, dessen Kopf er festhalten müsse. Sie hielt den Hasen mit durchgestreckten Armen von sich. Er war einfach und primitiv, eine Skulptur aus ein paar geschickten, gekonnten Kerben mit dem Messer, viel zu kostbar, um der Trostpreis im Osterkorb eines Kindes zu sein. Es war kein Spielzeug. Es war Kunst.
    »Siebzehn Dollar?«, fragte die Frau, als sie das handgeschriebene Preisschild auf dem Boden las. »Und dann so schlicht.«
    »Ja, aber die Schlichtheit …« Dave machte sich gar nicht erst die Mühe, den Satz zu beenden. Er hatte das Geschäft versiebt. Aber dann dachte er an Miriam, an ihren unerschütterlichen Glauben an ihn und unternahm noch einen letzten Versuch. »Wissen Sie, da sind vielleicht noch ein paar hölzerne Stopfeier hinten im Lagerraum. Ich habe sie auf einer Kunsthandwerksmesse in West Virginia entdeckt. Sie sind in den Grundfarben bemalt, blau, rot.«
    »Wirklich«, sie schien merkwürdig begeistert davon zu sein. »Könnten Sie mir die holen?«
    »Also …« Die Frage war etwas heikel, weil es bedeutete, dass er sie allein im Laden lassen musste. Das kam davon, wenn man sich keine Teilzeithilfe leisten konnte. Manchmal nahm Dave die Kunden mit nach hinten und stellte es so dar, als ob er ihnen damit eine besondere Ehre erweise. Das war besser, als sie zu beleidigen, indem er ihnen unterstellte, sie würden ihn heimlich beklauen. Aber bei dieser Frau konnte er sich nicht vorstellen, dass sie irgendwas einsteckte oder sich an der Kasse
zu schaffen machte, ein altmodisches Teil, das laut klingelte, wenn man es öffnete. »Warten Sie einen Augenblick, ich seh mal nach, ob ich sie finde.«
    Es dauerte länger, als er angenommen hatte, bis er schließlich die Eier fand. Er konnte Miriam nörgeln hören, wie sie ihn zwar leise, aber dennoch missbilligend an Inventurlisten und Abrechnungen erinnerte. Aber der springende Punkt an dem Laden war ja gerade, dass er genau dem hatte entkommen, sich von der Exaktheit der Zahlen hatte befreien wollen. Er erinnerte sich noch, wie enttäuscht er gewesen war, dass Miriam nicht wusste, was es mit dem Namen des Ladens auf sich hatte.
    » Der Mann mit der blauen Gitarre – werden die Leute nicht denken, es wäre ein Musikaliengeschäft?«
    »Weißt du nicht, was das ist?«
    »Na ja, es klingt irgendwie flippig, so wie das heute eben ist. ›Der samtene Champignon‹, all so was. Aber trotzdem, es könnte die Leute verwirren.«
    »Es stammt von Wallace Stevens, seines Zeichens Dichter und Versicherungsangestellter.«
    »Oh, dem ›Emperor of Ice-cream‹-Typen. Klar.«
    »Stevens war wie ich, ein

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