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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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was ihr selbst gar nicht weiter aufgefallen ist, was aber den Lehrer in Angst und Schrecken versetzt hat. Wenn er wirklich schwul war, dann mit Sicherheit heimlich, denn damals musste er noch um seinen Job fürchten, wenn es herauskam.«
    »Und wieso sind dann am Ende beide Mädchen weg?«
    Willoughby seufzte. »Es läuft immer wieder darauf hinaus: Warum beide? Wie kriegt man überhaupt beide auf einmal? Aber wenn er der Lehrer war und sich Heather zuerst griff und sie irgendwo versteckte – zum Beispiel hinten in seinem Van – und dann Sunny fand, hätte er einen Riesenvorteil gehabt. Er war ihr Lehrer, jemand, den sie kannte und dem sie vertraute. Wenn er gesagt hätte, sie solle mitkommen, hätte sie es sicher getan.«
    »Hatten Sie ihn jemals so weit, dass er zusammenbrach und etwas anderes erzählte?«
    »Nein. Er blieb dabei, wenn auch auf die gleiche Art konsequent, wie man es von Lügnern kennt. Vielleicht hatte ihm gerade ein Teenager einen Blowjob in der Mall-Toilette verpasst, und er fürchtete, dass es herauskommen könnte. Auf
alle Fälle ist er nie von seiner Geschichte abgewichen, und jetzt ist er tot.«
    »Ich gehe davon aus, dass Sie die Eltern überprüft haben.«
    »Eltern, Nachbarn, Freunde. Sie finden alles hier drin. Und es gab auch telefonische Erpressungsversuche, Leute, die vorgaben, sie hätten die Mädchen. Nichts davon erwies sich als wahr. Man hätte meinen können, Außerirdische hätten die Mädchen entführt.«
    »In Anbetracht der Tatsache, dass Sie die Todesanzeigen so genau studieren …«
    »Das werden Sie eines Tages auch einmal.« Willoughby hatte so eine Art, überheblich zu grinsen, die Infante höllisch nervte. »Früher, als Sie denken.«
    »Ich schätze, Sie wissen, ob die Eltern noch leben. Ich habe nichts über sie gefunden.«
    »Dave ist in dem Jahr, in dem ich mich zur Ruhe gesetzt habe, gestorben, 1989. Miriam ist nach Texas gezogen und dann weiter nach Mexiko. Eine Zeitlang hat sie mir zu Weihnachten geschrieben …«
    Er stand auf und ging zu einem lackierten Möbelstück hinüber, das Infante als typischen Damenschreibtisch betrachtete, weil es zierlich und unpraktisch war, mit Dutzenden kleiner Schublädchen und einer winzigen, schrägen Schreibfläche, zu klein für einen PC. Der alte Cop hatte vielleicht ein bisschen Nachhilfe gebraucht, um sich zu erinnern, dass er die Bethany-Akten hatte, aber er wusste auf Anhieb, wo die Weihnachtskarte war. Ach du meine Güte , dachte Infante, ganz gleich, was Lenhardt sagt. Hoffentlich kriege ich nie so einen Fall.
    Dann machte er sich klar, dass er nun genau so einen hatte, dass Willoughbys Vermächtnis in einem Pappkarton zu seinen Füßen ruhte. Er sah sich dreißig Jahre später, wie er den Karton an einen anderen Detective übergab und dabei die Geschichte der unbekannten Frau erzählte, die sie ein paar Tage lang an der Nase herumgeführt hatte, bis der Schwindel aufflog.
Wenn man sich einmal in etwas wie den Bethany-Fall hineingekniet hatte, ließ es einen dann jemals wieder los?
    »Das Kuvert fehlt schon lange, wenn darauf ein Absender gestanden hat, weiß ich nicht mehr, wie er lautet. Aber ich erinnere mich an den Ort – San Miguel de Allende. Sehen Sie, hier erwähnt sie ihn.«
    Infante inspizierte die Karte, eine Taube, aus grünem Spitzenpapier ausgeschnitten und auf dickes Pergamentpapier geklebt. Darauf standen FELIZ NAVIDAD in Druckbuchstaben mit roter Tinte und darunter ein paar Zeilen. Hoffe, es geht Ihnen gut. San Miguel de Allende scheint nun mein Zuhause zu sein, in guten wie in schlechten Tagen.
    »Von wann ist die?«
    »Das ist bestimmt fünf Jahre her.«
    Infante zuckte bei dem Datum zusammen. »Da waren die Mädchen exakt fünfundzwanzig Jahre verschwunden.«
    »Bei Miriam geschah das sicher unbewusst. Sie war sehr darauf bedacht, die Vergangenheit zu verdrängen und hinter sich zu lassen. Dave war das genaue Gegenteil davon. Jeder Tag seines Lebens war eine bewusste Ehrerbietung an die Mädchen.«
    »Und als er starb, ist sie fortgezogen?«
    »Als … Oh nein. Mein Fehler. Ich sprach aus einem, was meine Frau ›tieferen Zusammenhang‹ nennen würde, als ob Sie alles, was ich weiß, auch wissen müssten. Noch unverzeihlicher, wenn der eine das Hintergrundwissen auch noch hortet. Miriam und Dave trennten sich gut ein Jahr nach dem Verschwinden der Mädchen, und sie nahm wieder ihren Mädchennamen an, Toles. Es war keine glückliche Ehe gewesen, schon davor nicht. Ich mochte Dave. Aber er hat

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