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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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sie als Lügnerin eingeordnet, bereits bei der ersten Begegnung. »Sehen Sie, es geht hier nicht um Glauben oder Vertrauen oder Sympathie. Ich arbeite gern mit nachweisbaren Fakten, mit Dingen, die sich nachprüfen lassen, und davon haben Sie mir noch keine geliefert. Warum waren Sie sich so sicher, dass Ihre Mutter tot ist?«
    »Ungefähr zu dem Zeitpunkt, als ich achtzehn wurde …«
    »In welchem Jahr war das?«
    »Am 3. April 1981. Bitte, Detective, ich weiß, wann ich Geburtstag habe. Auch wenn das fast an ein Wunder grenzt, nach all den vielen Geburtsdaten, die ich in meinem Leben schon angenommen habe.«
    »Heather Bethanys Geburtsdatum findet man auch im Internet. Es kam in den Nachrichten. Jeder weiß, dass Heather Bethany kurz vor ihrem zwölften Geburtstag verschwunden ist.«

    Sie machte sich gar nicht erst die Mühe, auf Dinge zu reagieren, die es ihr nicht wert schienen, ein weiterer Beweis für ihre Verschrobenheit. »Jedenfalls war ich damals, als ich achtzehn wurde, plötzlich alleine. Abgeschoben. In einen Bus verfrachtet worden, mit hübschen Abschiedsgeschenken. Und tschüs.«
    »Er ließ Sie einfach so gehen? Hat Sie sechs Jahre lang festgehalten und Ihnen dann zum Abschied gewunken, ohne Furcht, wo Sie landen und was Sie den Leuten erzählen könnten?«
    »Er hat mir jeden Tag erzählt, dass meine Eltern mich nicht haben wollten, dass niemand nach mir suchen würde, dass ich keine Familie mehr habe, zu der ich zurückkehren konnte, dass meine Eltern sich getrennt hätten und weggezogen seien. Schließlich fing ich an, es zu glauben.«
    »Aber trotzdem, was ist passiert, als Sie achtzehn wurden? Warum hat er Sie dann gehen lassen?«
    Sie zuckte die Schultern. »Er hat das Interesse an mir verloren. Ich war nicht mehr so … gefügig, je älter ich wurde. Ich befand mich immer noch in seiner Gewalt, aber ich fing an, mich zu wehren, stellte Forderungen. Es war Zeit, dass ich auf eigenen Füßen stand. Ich stieg in den Bus …«
    »Wo?«
    »Noch nicht. Ich erzähle Ihnen nicht, von wo aus ich losgefahren bin. Aber ich bin in Chicago ausgestiegen. Es war extrem kalt für April. Ich hatte keine Ahnung, dass es im April so kalt sein konnte. Durch die Innenstadt zog gerade eine Konfettiparade zu Ehren der Astronauten des zurückgekehrten Spaceshuttles. Ich bin zum Loop gelaufen, mitten hinein in die Hinterlassenschaften der Jubelfeier. Aber das Beste daran hatte ich verpasst. Der Müll war alles, was davon noch übrig war.«
    »Nette Geschichte, muss ich sagen. Ist sie wahr oder eine Metapher?«
    »Sie sind sooo klug.« Es klang bewundernd und beleidigend zugleich.

    »Warum auch nicht? Weil ich ein Cop bin?«
    »Weil Sie gut aussehen.« Er errötete, sehr zu seinem Verdruss, obwohl es beileibe nicht das erste Mal war, dass eine Frau ihm ein Kompliment wegen seines Aussehens machte. »Das funktioniert in beide Richtungen. Männer halten hübsche Mädchen für dumm, aber Frauen denken oft nicht anders über einen bestimmten Typ Mann. Das Schlimmste, was einer Frau passieren kann, ist es, einen Freund zu haben, der besser aussieht als sie selbst. Sie könnten niemals mein Freund sein, Detective Infante.«
    Die ganze Zeit über hatte Gloria Bustamante reglos verharrt wie einer dieser steinernen glubschäugigen Wasserspeier, jetzt aber räusperte sie sich lautstark und zerriss die angespannte Stille. Vielleicht war sie noch irritierter über den Verlauf des Gesprächs als Infante selbst.
    »Heather ist bereit, Ihnen etwas anzuvertrauen«, sagte Gloria. »Ein eher nebensächliches Detail, etwas, das Sie aber überprüfen können und das Ihnen auf Umwegen die Authentizität aller ihrer Behauptungen belegen wird.«
    »Warum kann sie nicht einfach eine Aussage machen?«, fragte er. »Daten, Zeitangaben, Orte. Der Name des Mannes, der sie entführt und ihre Schwester ermordet hat. Sie hat sechs Jahre bei ihm gewohnt. Es ist anzunehmen, dass sie seinen verfluchten Namen kennt.«
    Die Frau im Krankenhausbett mischte sich mit funkelnden Augen ein. »Na gut, hier kommt, was Sie wollen: die Interstate 83 hoch, kurz hinter der Bundesgrenze in Pennsylvania, die erste Abfahrt Richtung Shrewsbury. Damals war die Gegend nur dünn besiedelt, und es ist möglich, dass sich die Straßennamen geändert haben, aber an der Old Town Road lag eine Farm. Sie hatten ein Postfach, bei der Zufahrt war ein Briefkasten mit der Nummer 13350. Die Zufahrt war ziemlich genau eine Meile lang. Es war ein Steinhaus mit einer roten Haustür.

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