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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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und in U-Haft nehmen wollte. Und wie vorhergesehen hatte der Staatsanwalt noch mal ein Auge zugedrückt und zugestimmt, dass sie, solange Gloria für sie bürgen würde, in Baltimore bleiben könne, ohne ins Gefängnis zu müssen. Infante musste zugeben, dass jemand, der Gloria entkommen wollte, wirklich ganz schön clever sein musste. Sie würde die Frau jagen, allein schon wegen ihres Honorars.
    »Da drüben auf der Patapsco Avenue gibt es einen Laden der Heilsarmee«, sagte die Sozialarbeiterin. Kay hieß sie. »Die haben wirklich ein paar ganz hübsche Sachen.«
    »Patapsco Avenue«, wiederholte die Frau, während sie sich gedankenverloren zurückerinnerte, ein wenig gestellt für Infantes
Ohren. »Ich glaube, es gab dort mal einen billigen Fischladen, es ist schon eine ganze Weile her. Dort holten wir immer Krebse.«
    Das war sein Stichwort. »Sie fuhren so weit, nur um ein paar Krebse einzukaufen?«
    »Mein Dad wollte immer ein Schnäppchen machen … und er hatte so seine Schrullen. Warum sollte man zehn Minuten fahren, um Krebse zu kaufen, wenn man genauso gut quer durch die Stadt fahren, einen Dollar pro Dutzend sparen und dazu noch eine Geschichte erzählen konnte? Gab es dort nicht auch diese frittierten grünen Paprikaringe mit Puderzucker?«
    Kay schüttelte den Kopf. »Ich habe davon gehört, sie aber noch auf keiner Speisekarte entdeckt.«
    »Nur weil Sie es nicht sehen, heißt das noch lange nicht, dass es nicht existiert.« Sie mimte wieder die hochnäsige Königin. »Ich war jahrelang für alle sichtbar, und trotzdem hat mich keiner erkannt.«
    Prima, endlich näherte sie sich dem ursprünglichen Ziel dieser Unterhaltung. »Sie haben Ihr Aussehen kein bisschen verändert?«
    »Mein Haar wurde dank Nice’n Easy zwei Farbtöne dunkler. Ich wollte wie Anne aus Anne auf Green Gables ein Rotschopf sein, aber was ich wollte, interessierte niemanden wirklich.« Sie bemerkte seinen Blick. »Ich vermute, Sie waren kein großer Fan von L. M. Montgomery.«
    »Wer war er denn?«, fragte er artig, obwohl er wusste, dass er reingelegt werden sollte, und ließ dem Frauentrio seinen Spaß. Er konnte es sich leisten – vielleicht sogar ihr Lachen zu seinem Vorteil nutzen. Sollte sie ihn doch für einen Idioten halten. Wäre es nicht prima, wenn Gloria mit Kay aufbrechen würde, um Klamotten zu besorgen? Aber so viel Glück war ihm nicht vergönnt. »Mal im Ernst …«
    »Ich fing an zu wachsen«, sagte sie, als ob sie bereits ahnte,
worauf er hinauswollte. »Und obwohl allen klar war, dass dies so sein würde, war es dennoch einer der Gründe, warum mich niemand erkannte. Deshalb und weil ich alleine war.«
    »Ja, Ihre Schwester. Was ist mit ihr passiert? Fangen wir doch am besten damit an.«
    »Nein«, sagte sie, »tun wir nicht.«
    »Gloria hatte angekündigt, dass Sie ganz viel zu sagen haben. Sogar etwas über einen Polizisten. Ich bin heute Morgen hierherzitiert worden, weil es hieß, dass Sie bereit wären, mir alles zu erzählen.«
    »Ich kann Ihnen Allgemeines erzählen. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich jetzt bereits ins Detail gehen sollte. Ich habe nicht das Gefühl, dass Sie auf meiner Seite sind.«
    »Sie sagen, Sie sind das Opfer, eine Geisel, die gegen ihren Willen festgehalten wurde, und Sie deuten an, dass Ihre Schwester ermordet wurde. Warum sollte ich nicht auf Ihrer Seite sein?«
    »Da, sehen Sie’s? Sie sagen . Sie glauben insgeheim, dass ich nicht die Frau bin, für die ich mich ausgebe. Ich behaupte nur, sie zu sein. Ihre Skepsis macht es mir sehr schwer, mich Ihnen anzuvertrauen. Dies und die Wahrscheinlichkeit, dass Sie alles in Ihrer Macht Stehende tun werden, um eine Geschichte anzuzweifeln, die kein gutes Licht auf einen aus Ihren eigenen Kreisen wirft.«
    Damit hatte sie einen wunden Punkt getroffen, aber er gönnte ihr nicht die Genugtuung, sie wissen zu lassen, wie sehr es ihn irritierte, wie es bei seiner Dienststelle jede Menge Alarm ausgelöst hatte. »So was sagt man einfach so dahin. Sie sollten das nicht überbewerten.«
    Sie fuhr sich mit der unverbundenen Hand durchs Haar und starrte ihn an. Forderte ihn mit ihrem Blick so lange heraus, bis sie blinzelnd mit den Lidern zuckte, als sei sie erschöpft. Dennoch kam es ihm so vor, als wollte sie ihm nur vortäuschen, er habe gewonnen, dass sie im Prinzip viel länger hätte durchhalten
können. Sie war ein harter Brocken, ein wirklich zähes Stück.
    »Ich kannte mal ein Mädchen …«, begann sie, die Augen

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