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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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geschlossen.
    »Heather Bethany? Penelope Jackson?«
    »Das war noch in der Highschool, als ich noch bei ihm war.«
    »Wo …«
    »Davon später, alles zu seiner Zeit.« Ihr Blick schweifte zu der Wand zu ihrer Linken. »Ich kannte mal ein Mädchen, und sie war sehr beliebt. Sie war Cheerleader, eine gute Schülerin. Dazu noch richtig niedlich. Die Art von Mädchen, die Erwachsene bewunderten. Sie hatte was mit einer ganzen Menge Jungs. Ältere Jungs vom College. Dort, wo dies spielt, gibt es einen See, und die Kids fuhren zu den Rendezvous dorthin, tranken und knutschten. Ihre Eltern wollten nicht, dass sie nachts zu diesen jungen Kerlen ins Auto stieg, die wenig Fahrpraxis hatten. Also machten sie ihr ein Angebot. Wenn sie die Jungs mit nach Hause brachte, würden sie sie in Ruhe lassen. Sie konnten den Freizeitraum für sich haben und sogar Bier trinken, aber in Maßen. Im Freizeitraum konnten sie trinken und fernsehen, und wenn sie nicht gerade ›Feuer!‹ oder ›Vergewaltigung‹ schrie, kam nie jemand herein. Ihre Eltern waren in ihrem Schlafzimmer zwei Stockwerke höher und respektierten ihre Privatsphäre. Was geschah Ihrer Meinung nach?«
    »Ich weiß es nicht.« Verdammt, es interessiert mich überhaupt nicht . Aber er musste so tun, als ob. Die hier saugte die Aufmerksamkeit auf wie Wasser.
    »Sie machte alles. Alles. Sie beherrschte die Kunst des Blowjobs. Sie verlor ihre Jungfräulichkeit. Ihre Eltern dachten, sie hätten es so klug angestellt, dass, wenn sie ihr alle Freiheiten ließen, sie Hemmungen hätte, sie auch zu nutzen. Sie dachten, dass ihre Tochter sie nicht wirklich beim Wort nehmen, dass sie ihnen zuliebe nie einen Schritt zu weit gehen würde. Hier war also dieses Mädchen, dieses hübsche, beliebte Mädchen,
das sich im Freizeitraum ihrer Eltern quasi zum Pornostar entfaltete, und es hat ihrem Ruf kein bisschen geschadet.«
    »Ist das eine Geschichte über Sie?«
    »Nein, es ist eine Geschichte über Wahrnehmung, über das, was man nach außen hin darstellt und was man wirklich ist. Im Moment bin ich anonym, unbekannt, durchschnittlich. Aber wenn ich Ihnen erzähle, was mir widerfahren ist, werden Sie mich für schlecht und böse halten. Abscheulich. Sie werden das nicht verhindern können. Die Cheerleaderin kann so viele Blowjobs austeilen, wie sie will. Aber das kleine Mädchen, das nicht versucht, vor dem wegzulaufen, der es gefangen hält und missbraucht, das jede Nacht vergewaltigt wird, das ist schwerer zu verstehen. Es wird ihr wohl gefallen haben, wenn sie nicht weggelaufen ist, stimmt’s? Und das, auch ohne dass es sich dazu noch um einen Cop handelt bei dem Typen.«
    »Ich bin Polizist«, sagte er. »Ich beschuldige niemanden, der Opfer geworden ist.«
    »Aber Sie stecken die Leute in Schubladen, oder? Sie empfinden etwas anderes für, sagen wir mal, eine Frau, die von ihrem Mann zu Tode geprügelt wurde, als für einen Drogenhändler, der von einem Rivalen umgebracht wurde. Das ist einfach nur menschlich, und Sie sind doch ein Mensch – oder?« Kevin warf Gloria einen Blick von der Seite zu. Seiner Erfahrung nach hielt sie ihre Mandanten an der kurzen Leine, unterbrach die Gespräche und mischte sich ein. Aber der hier ließ sie freien Lauf. Tatsächlich schien sie sogar ein bisschen fasziniert von ihr. »Ich möchte Ihnen weiterhelfen, aber ich möchte auch das bisschen Normalität bewahren. Ich will nicht bei all diesen Nachrichtensendern als Kuriosum auftreten. Ich möchte nicht, dass Polizeibeamte in meinem derzeitigen Leben herumstochern, mit den Nachbarn, den Kollegen und mit meinen Vorgesetzten sprechen.«
    »Und was ist mit Freunden und der Familie?«

    »Habe ich nicht.«
    »Aber Sie wissen, dass wir versuchen, Ihre Mutter, Miriam, in Mexiko zu finden.«
    »Sind Sie sicher, dass sie noch lebt? Weil …« Sie unterbrach sich.
    »Weil was? Weil Sie glauben, dass sie tot ist? Weil Sie damit gerechnet haben?«
    »Warum nennen Sie mich eigentlich nie bei meinem Namen, wenn Sie mit mir reden?«
    »Was?«
    »Gloria tut’s, Kay auch. Aber Sie sprechen mich nie mit meinem Namen an. Sie haben gerade den Vornamen meiner Mutter gebraucht, aber meinen benutzen Sie nie. Glauben Sie mir nicht?«
    Sie war eine wirklich gute Zuhörerin, besser als die meisten. Man musste schon gut zuhören können, wenn einem die Auslassungen in der Sprache eines anderen auffielen, und sie hatte recht – er würde sie auf keinen Fall Heather nennen. Er glaubte ihr schlicht und einfach nicht, hatte

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