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Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Titel: Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Doughty
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nicht nur zu spät, sondern katastrophal zu spät dran waren. Eine Dreiviertelstunde Verspätung: nach Erwachsenenbegriffen gar nichts, für ein Kind ein ganzes Leben. Sie sind keine Rumtreiberinnen. Der Ausdruck »atypisches Verhalten« kam mir in den Sinn, und ich schob ihn beiseite. Davon wollte ich nichts wissen.
    Offensichtlich wurde meine wachsende Panik dadurch geschürt, dass Sally ruhiger geworden war, ihre Stimme nicht mehr so keuchend klang, ging mir auf. »Ich geb Susie meine Nummer, damit sie mich anrufen kann, falls sie noch kommen. Dann komm ich vorbei«, sagte Sally. Sie wuchs mit der Situation, während ich eher absackte, wie aus großer Höhe. Ich nickte pausenlos. Ich wollte nicht mit den anderen dreien nach Hause gehen, sondern mit Sally die Straßen abfahren und nach meiner Tochter suchen, aber ich wusste, wenn ich darauf bestand, sie zu begleiten oder hier auf sie zu warten, wäre das kontraproduktiv und widerspräche dem vernünftigen Verhalten in einem so unbedeutenden Störfall wie diesem. Das hieße zugeben, dass etwas ernsthaft nicht in Ordnung war. Ich klammerte mich mit Zähnen und Klauen an Normalität, versuchte, mich an eingespielte Abläufe zu halten.
    »Ich ruf Katies Mum an und sag ihr, dass sie bei dir ist«, fuhr Sally fort. »Ich kann sie von dir abholen und nach Hause bringen, wenn ich Betty abliefere.«
    Katie. So hieß das kleine Küken also. »Kommt alle her«, sagte ich fröhlich zu den drei Kleinen. »Rees, Rebecca, Katie. Zieht eure Jacken an.« Rebecca hatte nur einen verächtlichen Blick für mich übrig, während sie von ihrem hohen Stuhl rutschte.
    Ohne die besorgten Blicke der anderen Mütter zu beachten, führte ich die drei Kleinen zur Tür hinaus. Bis zu unserem Haus war es ein Fußweg von zwölf Minuten. Die ganze Zeit über redete ich rasch und ruhig mit der verweinten Katie, in dem eindringlichen Tonfall, den Erwachsene annehmen, wenn sie Kinder zu einer Antwort drängen wollen. »Wenn wir nach Hause kommen, koch ich euch allen Reis mit Erbsen. Das ist Rees’ Lieblingsessen. Magst du Reis mit Erbsen?«
    »Nein …«, schluchzte sie.
    »Macht nichts«, sagte ich. »Ich mach reichlich davon, weil Rees’ große Schwester bald nach Hause kommt. Hast du eine große Schwester?«
    »Nein …«, schluchzte sie.
    »Aber ich«, stellte Rebecca lakonisch fest. »Zwei Stück.«
    Rees spielte zu gern Gastgeber. Ich sagte ihm, er könne die Mädchen in mein Schlafzimmer mit raufnehmen und ihnen ein Computerspiel zeigen. Gebieterisch ging er voran und stapfte die Treppenstufen hinauf. Während ich Reis mit Erbsen kochte, legte ich mein Handy neben das Kochfeld auf die Arbeitsplatte, damit ich es mir sofort schnappen konnte, wenn Sally anrief. Die alltäglichen Handgriffe beruhigten mich beim Kochen. Ich bereitete Unmengen zu, genug für jeden Einzelnen im Methodistischen Gemeindesaal.
    Miriam kam an, während sich die Kinder am Küchentisch Reis in die Münder schaufelten. Selbst die schniefende, kleine Katie verdrückte etwas. Meine eigene halbe Portion aß ich aus einem Müslischälchen im Stehen, an die Arbeitsplatte gelehnt, damit ich alle im Blick hatte. Ich aß oft mit den Kindern zusammen und hatte mir beim Auftischen gesagt, nicht essen hieße zugeben, dass etwas nicht stimmt. Iss.
    Miriam hatte mir gesimst, sie sei unterwegs. Als ich sie klopfen hörte, lief ich zur Haustür, obwohl ich wusste, dass nur sie es war, riss die Tür auf und wollte mich schon auf sie stürzen – doch sie stürzte sich eher auf mich. »O mein Gott«, rief sie aus, während sie hereinstolperte. »Du glaubst nicht, was ich für einen Nachmittag hinter mir hab, ich musste meinem Chef drohen, ihn anzuzeigen, der ist so was von scheiß-psycho, Rebecca, Rebecca, Becky-Schätzchen, wir müssen sofort los, ich hab so einen Ärger …« Und schon stürmte sie an mir vorbei durch den Flur.
    »Möchtest du nicht …«, ich folgte ihr.
    »Würd ich unheimlich gern, tut mir echt leid, du warst richtig klasse, aber jetzt muss ich die hier aufsammeln und los«, antwortete sie seufzend. Ich spürte, wie die Verzweiflung in mir hochkam. Da hatte ich mich darauf verlassen, dass Miriam bei mir bleiben würde, damit ich ihr von der kleinen Panne an diesem Nachmittag erzählen und mich dabei selbst mit meiner Gelassenheit beeindrucken könnte. Ich hatte sie wortlos hereingelassen. Nun konnte ich nicht plötzlich verkünden, ja, mir ginge es gut, bis auf die Kleinigkeit, dass meine Tochter vermisst wurde. Ich

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