Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
Leben belasteten, Jonathans Probleme in der Schule, ihr Teeladen … im Grunde Alltagsprobleme, die sich ihrer Liebe zu Richard in den Weg gestellt hatten. Und Richard war zu stolz gewesen, um sich zu wehren.
Plötzlich entdeckte sie, dass Zufriedenheit in seinem Blick lag. Er genoss es, dass es ihm gelungen war, ihr ein schlechtes Gewissen zu machen.
Ich werde dieses infame Spiel nicht ein zweites Mal mit mir treiben lassen, schwor sie sich. Sie war stärker als er, in vieler Hinsicht. Kämpferisch sagte sie: »Vielleicht hättest du besser zum Eheberater gehen sollen als unter die Schmuggler.«
»Was soll das, Emily?«
»Ich will endlich wissen, was für ein Mensch du geworden bist, Richard.« Und ironisch fügte sie hinzu: »Nachdem du auf deinen Schnellzug aufgesprungen bist, meine ich.«
»Keine Sorge, ich bin noch immer derselbe«, sagte er ungerührt. »Auch wenn du es nicht wahrhaben willst.« Spöttisch verzog er den Mund. »Bis auf mein Knie natürlich. Ein Motorradunfall in Singapur.«
Sie überhörte seinen selbstgefälligen Ton und bohrte weiter. »Macht es dir nichts aus, dass du Menschenleben auf dem Gewissen hast?«
»Natürlich belastet mich das sehr. Aber ich weiß auch, dass ich unzähligen Menschen mit den Medikamenten geholfen habe.«
Beide schwiegen. Richard legte die Hände in den Schoß und wich Emilys Blicken aus. Sie spürte, wie ihre Erbitterung langsam wieder nachließ und einer tiefen Traurigkeit Platz machte.
»Wie geht es Constance?«, fragte er unvermittelt.
»Das kann ich noch nicht sagen. Aber es scheint, als hätte sie alles gut überstanden. Sie wird noch eine Weile bei mir bleiben.«
»Das beruhigt mich. Bitte kümmere dich um sie. Sie kann nichts dafür.«
»Das weiß ich.«
Emily hatte das Gefühl, dass es Zeit war, wieder zu gehen. Sie wollte auf keinen Fall, dass es zu Sentimentalitäten kam. Und sie wollte auf keinen Fall Auf Wiedersehen sagen. Sie stand auf, schob den Stuhl zur Seite und ging auf Jane Waterhouse zu. Da hörte sie Richards Stimme durch den Lautsprecher: »Warte! Wie hast du es eigentlich herausgefunden?«
Emily drehte sich um und ging noch einmal zur Scheibe zurück. Selbstbewusst lächelnd sagte sie gegen die Panzerglasscheibe:
»Du weißt doch – ich bin eine Frau mit Gedächtnis.«
Constance blieb noch drei Wochen bei Emily. Auch wenn sie in der ersten Zeit immer wieder von ihren Ängsten eingeholt wurde, tat es ihr gut, wie früher in den Inselalltag eintauchen zu können. Schon ab der zweiten Woche ging es ihr von Tag zu Tag besser. Emily hatte ihr anfangs lange Wanderungen verordnet, die sie beide zusammen unternahmen. Doch schon bald fand Constance, dass so viel Natur schwermütig machte, also das Gegenteil von dem bewirkte, was Emily bezweckte. Von da an hieß die Devise: Hinein ins pralle Leben. Constance war jung und brauchte nichts so sehr wie Abwechslung. Am liebsten half sie im Teeladen mit, wo sie mit Tim herumalbern konnte und viele Leute traf. Da endlich wusste Emily, dass Constance das Schlimmste überstanden hatte.
Es wurde doch noch ein schöner Sommer, anders als die Meteorologen im Mai prophezeit hatten. Emilys Garten glich einem Feuerwerk an Farben, und sie kam mit dem Rasenmähen, dem Schneiden und dem Ausdünnen der Pflanzen kaum noch nach.
An dem Tag, als sie Constance zur Fähre brachte, war es besonders warm. Es wurde ein schwerer Abschied mit vielen Umarmungen und Tränen. Constance versprach hoch und heilig, im August wiederzukommen, wenn Emilys Sohn aus London herflog und vier Wochen lang als Aushilfe im General Hospital praktizierte.
Als die Fähre abgelegt hatte und hinter Elizabeth Castle verschwunden war, fiel Emilys Blick zufällig auf die beiden städtischen Gärtner, die die Oleanderbüsche am Hafen wässerten.
Plötzlich fiel ihr wieder ein, was heute für ein Tag war.
Visite du Branchage – einer der beiden Tage im Jahr, an denen ein Komitee der Gemeinde alle Hecken und Bäume kontrollierte, die den Verkehr behindern könnten. Es war ein Akt, dessen soziale Bedeutung nur jemand verstand, der auf Jersey aufgewachsen war und der die engen, wie Wände aufragenden Hohlgassen aus Mauern, Hecken und Büschen selbst befahren musste.
Heute nun war Emilys Straße dran. Das Datum hatte sie vor Kurzem auf der Gemeinde erfahren. Trotzdem hatte sie vergessen, ihre lange Hecke rechtzeitig zu schneiden.
Als sie in ihre Straße einbog, sah sie zu ihrem Schreck die Gruppe der Kontrolleure schon vor ihrem Haus
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