Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
und konzentrierte sich auf die Situation, als Tony Kinross die vier Zahlen gedrückt hatte. Ganz deutlich waren die unterschiedlich hohen Klänge zu ihr herübergeweht. Erst ein tiefer Ton – die Neun vielleicht. Dann ein hellerer – die Drei? Nein, eher die Vier. Zusätzlich entschied sie sich für die Sieben und die Zwei.
Schließlich gab sie alle vier Zahlen auf der Tastatur ein. Bis jetzt klang alles so, wie sie es in Erinnerung hatte.
Dann kam der Augenblick der Wahrheit. Sie drückte auf die On -Taste, gab vorsichtig die ausgewählte Zahlenkombination ein und aktivierte dann die Enter -Taste. Mit angehaltenem Atem zog sie am Türgriff.
Nichts. Er bewegte sich nicht. Die Tür blieb zu.
Verzweifelt versuchte Emily es ein zweites Mal. Sie hoffte inständig, dass das Schloss nicht blockierte, wenn man zu oft falsche Zahlen eingab. Ihre Finger zitterten, während sie sie wieder nach der Tastatur ausstreckte.
War es doch nicht die Vier, sondern die Sechs gewesen?
Emily konzentrierte sich erneut. Ihre Erinnerung sagte ihr, dass Kinross die ersten beiden Zahlen sehr hastig eingegeben hatte, sodass die Töne fast miteinander verschmolzen waren.
Sie überlegte kurz und entschied dann, dass die zweite Zahl tatsächlich eine Sechs war. Sie zwang sich zur Ruhe und begann zu drücken.
On – 9672 – Enter .
Als sie diesmal den Griff packte und daran zog, schwang die zentnerschwere Tür tatsächlich auf, ganz langsam, wie ein Koloss, der jahrhundertelang geruht hatte. Emily hörte noch, wie die Männer auf dem Boot hinter ihr jubelten, doch da war sie schon in das Dämmerlicht des Bunkers vorgedrungen.
»Constance?«, schrie sie. »Wo bist du?«
»Hier hinten!«
Die Stimme kam vom Ende des Bunkers. Glücklich rannte Emily durch den langen Gang, vorbei an aufgestapeltem Bootszubehör, alten Netzen, Bojen und allerlei Gerümpel. Da sie nur die schwache Helligkeit hatte, die von der Eingangstür kam, stieß sie sich den Fuß an einem alten Anker, doch es war ihr egal. Plötzlich sah sie vor sich durch die Ritzen einer Eisentür Licht schimmern. Sie lief hin und hämmerte mit den Fäusten gegen die Tür. »Bist du da drin? Geht es dir gut?«
»Ja!«, rief Constance. Ihre Stimme klang kräftig.
Emily war erleichtert. Gott sei Dank waren es nur zwei dicke Riegel, einer oben, einer unten, die die Tür fixierten. Sie reckte sich und zog den oberen Riegel zurück, dann den über dem Boden.
Nur Augenblicke später standen sie sich gegenüber. Constance stand mitten in einer kahlen Zelle, die Kinross offenbar hin und wieder als Lager gedient hatte. Eine alte Matratze lag am Boden, eine Kloschüssel stand in der Ecke, dazu vier Plastikflaschen mit Wasser und ein paar Essensvorräte – mehr gab es nicht in diesem menschenunwürdigen Gefängnis.
Weinend vor Freude fielen die beiden Frauen sich in die Arme.
»Danke, Emily! Danke!«, flüsterte Constance immer wieder, während sie Emily wie ein kleines Kind umklammerte. »Ich hatte solche Angst, dass ich hier nie wieder rauskomme …«
»Hat er dir wirklich nichts angetan?«
»Nein, er war in der ganzen Zeit nur einmal hier, gestern Abend …«
Emily strich ihr über die Haare und lächelte. »Da war ich schon ganz in deiner Nähe«, sagte sie. Hinter sich hörte sie Harold Conway und die beiden Polizisten näher kommen. Sie drehte sich um. Mit Suchscheinwerfern leuchteten sie jede Ecke des Bunkers aus. »Alles okay, Emily?«, rief Harold. »Hast du sie?«
»Ja, ich hab sie«, rief Emily laut. Sie zwinkerte Constance zu. »Und ich lasse sie nie mehr aus den Augen!« Constance lachte und wischte sich mit dem Ärmel ihres Pullis die Tränen ab.
Schon drei Tage später waren die Verhöre und die Ermittlungen so weit fortgeschritten, dass Anklage gegen die Beteiligten erhoben werden konnte. Obwohl Neuling in seinem Amt, erwies sich Richter Edward Waterhouse als jemand, der die nötige Durchsetzungskraft besaß, um den bevorstehenden Prozess zügig vorzubereiten. Durch seine hervorragenden internationalen Kontakte konnte er seiner Schwester und der Staatsanwaltschaft sogar zu einem direkten Draht nach Hongkong verhelfen.
Selbst John Willingham musste diese Leistung seines Nachfolgers respektvoll anerkennen. Er war mit Gwyneth Trollop zu einem konspirativen Treffen verabredet gewesen und wusste jetzt alles. Auf dem Rückweg machte er gleich noch beim General Hospital Halt, um Frank Guiton über die interessanten Neuigkeiten zu informieren.
Frank war gar nicht in seinem
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