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Was du nicht weißt: Roman (German Edition)

Was du nicht weißt: Roman (German Edition)

Titel: Was du nicht weißt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Beling
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Küstenstadt Weymouth, Grafschaft Dorset, um zehn Uhr vormittags verlassen und nach knapp dreieinhalb Stunden ruhiger Überfahrt pünktlich angelegt.
    Constance war froh, dass sie endlich an die frische Luft kam. Eilig drängte sie sich an zwei alten Damen vorbei, schob sich durch eine Gruppe palavernder Italiener und stand endlich im Elizabeth Terminal. Von dort aus waren es nur noch ein paar Schritte bis auf den Vorplatz.
    Ihr leuchtend roter Anorak, der blaue Rucksack auf dem Rücken und die längliche Reisetasche, die sie in der rechten Hand trug, ließen vermuten, dass es sich bei ihr um eine der vielen sportlichen Touristen handelte, die die Insel zum Wandern oder Surfen besuchten.
    Doch der Eindruck täuschte. Zwanzig Jahre lang war sie hier zu Hause gewesen. Drei junge Hafenarbeiter pfiffen frech hinter ihr her. Constance war so angespannt, dass sie es gar nicht wahrnahm.
    Es duftete herrlich nach Meer, wie so oft in St. Helier, wenn Hochdruckwetter die warme Luft mit positiver Energie erfüllte. Doch Constance konnte sich nicht daran freuen, denn sie spürte Angst. Angst vor dem Augenblick, in dem sie ihre tote Schwester identifizieren musste.
    Es war kurz nach halb zwei. Sie war pünktlich.
    Irgendwo hier draußen musste jetzt der Chef de Police von St. Brelade auf sie warten.
    Seine Mitarbeiterin hatte ihr am Telefon gesagt, dass er sie gleich von hier aus zur Gerichtsmedizin begleiten würde und sie anschließend über ihre Schwester befragen wollte. Der Termin war von einer Frau vereinbart worden, einer Detective Inspector Waterhouse, doch die war offenbar kurzfristig verhindert.
    Mit zusammengekniffenen Augen schaute sie gegen die Sonne und suchte den Parkplatz nach dem Polizeiauto ab. Sie entdeckte es direkt neben der Einfahrt. Davor stand ein Mann.
    Sie ging zu ihm.
    »Ich glaube, Sie warten auf mich«, sagte sie zaghaft. Sein Aussehen – vor allem das hagere, unnachgiebig wirkende Gesicht – flößte ihr Respekt ein. Sie hoffte, dass er nicht ganz so unfreundlich war, wie er aussah.
    »Ah, Miss Constance Farrow, ja?«
    Mit zaghaftem Lächeln nickte sie, erleichtert, dass seine kräftige Stimme eher freundlich klang. »Ja.«
    »Mein Name ist Conway«, stellte er sich höflich vor. »Geben Sie mir Ihr Gepäck und nehmen Sie schon mal Platz.«
    Sie ließ den Rucksack von ihrer Schulter rutschen, er nahm ihn ihr ab, griff auch nach der Reisetasche und stellte beides in den Kofferraum.
    Constance nahm auf dem Beifahrersitz Platz und schnallte sich an. Während Conway einstieg und den Motor startete, sagte er mit einem Blick auf die Menge der Touristen, die vom Terminal auf die Straße strömten: »Hauptsaison. Jetzt wird’s eng auf der Insel.«
    »Ich weiß«, sagte Constance. »Und keiner von ihnen ist an den Linksverkehr gewöhnt.«
    Sie fuhren los. Als sie an der ersten Ampel warten mussten, sah Conway zu ihr hinüber und sprach ihr sein herzliches Beileid aus.
    »Es ist schwer für mich«, sagte Constance. »Jetzt gibt es nur noch meinen Cousin und mich. Und seinen Vater, aber zu dem hat niemand mehr Kontakt.«
    »Lebt Ihr Vater auch noch?«, fragte Conway beiläufig und gab wieder Gas. Er richtete seinen Blick abwechselnd auf die Kreuzung vor ihm und den Stadttunnel rechts neben ihm. Von dort strömte heftiger Verkehr unter Fort Regent hindurch.
    Dadurch, dass er beim Fahren so konzentriert sein musste, wurde das Antworten für Constance ein wenig leichter. Bemüht um einen normalen Ton sagte sie so locker wie möglich:
    »Ach … Bei uns waren die Familienverhältnisse immer etwas komplizierter als bei anderen Leuten. Debbie und ich haben unterschiedliche Väter, aber keine von uns hat ihren kennengelernt.«
    »Das ist bedauerlich …«
    »Schon okay, unsere Mutter wollte das eben nicht. Und wir haben das respektiert.«
    »Verstehe.«
    Sie schwiegen einen Augenblick lang. Conway bereitete sich innerlich darauf vor, dass er in ein paar Minuten mit Constance Farrow in die bedrückende Unterwelt der Pathologie eintauchen musste.
    »Miss Farrow …«, begann er schließlich, »was gleich erfolgt, wird nicht leicht sein für Sie, das weiß ich. Aber es lässt sich leider nicht vermeiden.«
    Constance schluckte schwer, presste die Lippen fest aufeinander und nickte.
    »Hatten Sie ein enges Verhältnis zu Ihrer Schwester?«
    »Ja … So eng das über die Distanz eben ging. Wir waren sehr unterschiedlich, schon weil sie fast sechs Jahre älter war als ich. Aber wir haben uns regelmäßig Mails geschickt

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