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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
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getreten wird. Das scheint mir eine unmögliche Situation. Wie können wir töten, um zu schützen, ohne die finsteren Krieger der Entmenschlichung, des Hasses, des Rassismus und des Gemetzels loszulassen?
    Dieses Dilemma ist nicht neu.
    Unser größter Schutz davor, der Bestie anheimzufallen, besteht darin, unsere Kinder ohne Scham und unterdrückte Wut aufzuziehen. Das verlangt eine Revolution in der Kindererziehung in Bezug auf Achtung und Respekt. [86]
    Wollen wir bewusst mit der Kriegerenergie kleiner Kinder umgehen, besteht unsere Aufgabe als Eltern darin, anzuerkennen, dass Aggression und Kriegerenergie so natürlich und problematisch sind wie die Sexualität. Beides hat eine biologische Basis, deren Stärke von Individuum zu Individuum schwankt. Genau wie einige Menschen öfter Sex haben wollen als andere, sind einige von Natur aus aggressiver, und so wie fast alle ihre Sexualität ausleben wollen, verhält es sich auch mit der Aggression. Die natürliche Aggressivität kann wie die Sexualität unterdrückt werden und sich am Ende auf schlimme Weise Platz schaffen und außer Kontrolle geraten, oder sie kann für gesunde, produktive Dinge genutzt werden.
    Einmal wurde unser Sohn Alex, damals war er drei Jahre alt, aus Versehen aus dem Haus ausgesperrt. Meine Frau und ich waren oben und putzten die Zimmer seiner Geschwister. Wir konnten ihn gegen die Tür schlagen und rufen hören, wir sollten ihm aufmachen, aber wir unternahmen gerade den Versuch, die Gesetze der Entropie umzukehren, und dachten, er könne ruhig ein, zwei Minuten warten.
    Wir hörten das Bersten von Glas.
    Ich rannte nach unten. Alex stand im Wohnzimmer, von Scherben umgeben. Die Tür war weit offen, und er hielt einen Knüppel in der Hand. Er stand unter Hochspannung. Er hatte die Scheibe in der Tür eingeschlagen, um sie von innen öffnen zu können.
    Ich nahm ihm sanft den Knüppel aus der Hand und trug ihn nach oben in sein Zimmer, um ruhig mit ihm reden zu können. Ich war so perplex, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Ich denke, ich hätte ihm sagen sollen, wie hilflos und enttäuscht er sich gefühlt haben musste, als er nicht hineinkonnte, und wie stark wohl sein Wunsch gewesen war, das Problem allein zu lösen, indem er die Scheibe einschlug. Dann hätte ich ihm erklären müssen, dass er seine Stärke für andere Dinge brauche, zum Beispiel, falls er oder ein Freund in Gefahr gerieten. Wenigstens platzte mir nicht der Kragen, sodass er sich seiner natürlichen, wenn auch falsch eingesetzten Vitalität nicht schämen musste.
    Wenn man die natürliche Aggressivität von Kindern unterdrückt, wird sie am Ende blockiert und durch Passivität ersetzt. Bei Mädchen geschieht das traditionell. Wir sind mit der Unterdrückung ihrer natürlichen Aggressivität so weit fortgeschritten, dass sich viele von ihnen heute unter Anleitung von dieser durch die Gesellschaft auferlegten Blockade wieder zu befreien versuchen. Sie können sich dieser ihnen von Gott eingepflanzten Energie nicht mehr bedienen, um ihr eigenes Leben zu schützen, und ich habe Sorge, dass es den Männern über kurz oder lang genauso geht. Das ist die falsche Antwort auf das Problem der Gewalt. Im Übrigen funktioniert die Unterdrückung natürlicher Aggressivität und ihre Umwandlung in Passivität nur eine Zeit lang: Jahre später macht sie sich in unkontrollierter Wut Luft, entweder durch Gewaltausbrüche oder durch üble, schädigende Verbalattacken.
    Wenn Ihr Kind eine Scheibe einschlägt, um durch eine verschlossene Tür zu kommen, müssen Sie Ihre eigene Angst vor der Gewalt erkennen, die diese Tat in ihnen entfacht, und sie kontrollieren. Dann müssen Sie Ihrem Kind helfen, sich bewusst zu machen, wie gut und stark es sich dabei gefühlt haben muss. Nehmen Sie dem Kind niemals seine Kriegergefühle, ganz besonders nicht mit Aussagen wie: »Das fühlst du doch nicht wirklich.« Und wenn Sie seine Gefühle als ehrlich bestätigt haben, erklären Sie gleich, wie diese Gefühle für etwas Besseres eingesetzt werden könnten als das Einschlagen von Scheiben.
    Wenn ein Kind einem Spielkameraden das Spielzeug wegnimmt oder sich mit Gewalt dagegen verteidigt, dass ihm jemand sein Spielzeug wegnimmt, zeigen Sie beiden Kindern, wozu Kriegerenergie benutzt wird, indem Sie das Opfer der Aggression beschützen, ob es unschuldig oder schuldig ist. Dann helfen Sie den kleinen Kämpfern zu begreifen, was da geschehen ist und was sie empfinden. »Das hat dich in Wut gebracht,

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