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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
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Aufgabe war, aus einem Haufen Jungs Stoßtruppen für die amerikanische Gesellschaft zu formen, musste uns der Ausbilder beibringen, dass, egal, wie hart es kam, immer noch mehr in uns steckte. Du gibst nie auf. Und er musste uns beibringen, dass, wenn einer verletzt ist, alle verletzt sind. Perkins musste die ganze Zeit mit uns rennen. Wir halfen ihm, er schaffte es, und plötzlich waren wir wieder stolz, Marines zu sein. Ich lernte, dass es klug war, nachzudenken, bevor man sich in einen Streit verwickeln ließ. Und Auseinandersetzungen mit erfahrenen Kneipenschlägern war sowieso aus dem Weg zu gehen, egal, wie fit man sich gerade fühlte.
    Der Ausbilder machte seine Sache gut. Bald schon hatten wir das Cap ’n’ Guys vergessen und waren erneut unbesiegbare Stoßtrupps, die wussten, dass es keine Niederlagen gab, nur vorübergehende Rückschläge. Kein Schmerz konnte groß genug sein, uns vom Siegen abzuhalten. Das sind notwendige Lehren, die jede vernünftige Gesellschaft seinen Stoßtruppen einimpft, und darüber hinaus der wesentliche Grund, warum sie Achtzehn- bis Zweiundzwanzigjährige für ihre Kämpfe nutzt. Diese Altersgruppe bringt gute Kämpfer hervor, wenn sie richtig initiiert werden. Monate später, in Vietnam, kam ich in Situationen, in denen jeder vernünftige Mensch aufgegeben hätte, aber ich war ein Marine, und Marines sind nicht vernünftig. Aufgeben ist undenkbar, Schmerz nichts als Schwäche, die den Körper verlässt.
    Das sind jedoch gesellschaftliche, keine geistigen Lehren. Spirituelle Führung gehört nicht zu den Aufgaben eines Ausbilders im Bootcamp. Was mich im Taxi zurück nach Quantico so betroffen gemacht hatte, lag jenseits der Initiationsriten, für die unsere Ausbilder dort zuständig waren, und so war ich, als es tatsächlich zur Sache ging, spirituell nicht darauf vorbereitet. Als ich dem Tod ins Auge sah, dem Tod derer, die ich tötete, und derer, die um mich herum getötet wurden, fehlte mir ein Halt oder Rahmen, der mir dabei geholfen hätte, den Schrecken des Gefechts, den Rausch, das Entsetzen, die Schuld und den Schmerz in etwas Größeres einzuordnen und einen Sinn in all dem zu sehen. Wenn an jenem Weihnachtsfest in Vietnam die richtige, dafür ausgebildete Person zu uns gekommen wäre, hätte sie mich womöglich auf eine innere Reise schicken können, durch die mir und meiner Familie viel Kummer erspart worden wäre. Es hätte mich erleichtert, über meinen Schrecken zu sprechen. Der Geistliche, der uns besuchte, war jedoch wie jemand, der einen sterbenden Freund besuchte und über das Wetter redete. Wir sprechen in unserer Gesellschaft nicht über den Tod. Selbst die Priester nicht. Auch wenn wir von ihm umgeben sind.
    Aber der Krieg wischt die Illusion, vor dem Tod sicher zu sein, zur Seite. Irgendein verirrtes Projektil kann dich töten, ganz gleich, was für ein guter Soldat du bist. Tod und Verletzung im modernen Krieg zu entgehen, ist weit mehr eine Frage des Glücks – oder der Gnade – als der eigenen Fähigkeiten, was einen bedeutenden Unterschied zu früheren, primitiven Kriegen darstellt. In einer Kampfsituation wachst du auf und bist dir sofort bewusst, es könnte das letzte Mal sein, dass du aufwachst, du bist gleichzeitig dankbar, noch zu leben, und voller Angst, weil sich an deiner Situation nichts geändert hat. Die meisten Veteranen werden das Bewusstsein, dass der Tod hinter jeder Ecke lauert, nicht mehr los. Auch wenn wir über den Freeway zur Arbeit fahren, wissen wir im Grunde, dass wir schon in einer Stunde tot sein könnten – nur die Chancen haben sich, seit wir nicht mehr im Krieg sind, sehr zu unseren Gunsten verschoben. Dieser Unterschied in der Wahrscheinlichkeit, getötet zu werden, macht die Kampfsituation zu einer bewussten Erfahrung der eigenen Sterblichkeit. Auf dem Freeway, auf dem Weg zur Arbeit, denken wir dagegen an etwas anderes.
    Etwas
erfahren
meint Bewusstheit und Besinnung. Zu verstehen, dass ein Gefecht eine finstere, schreckliche Initiation sein wird,
bevor
man es erlebt, würde dabei helfen, dieser die Seele erschütternden Erfahrung eine Struktur und einen Sinn zu geben. Ein großer Teil der Behandlung von PTBS , der sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung, besteht darin, einen Veteranen dazu zu bringen, sich an das Erlebte zu erinnern und darüber zu sprechen. Je mehr psychische Struktur den Soldaten mitgegeben wird, je mehr Einordnungsmöglichkeiten für die Kriegserfahrung sie mit ins Feld bringen, desto

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