Was fühlt mein Hund, Was denkt mein Hund
hinterherlaufen und nicht zur Ruhe kommen, sind emotional alles andere als stabil. Leider wird ein solches Verhalten fälschlicherweise als besonders enge Bindungsbereitschaft fehlinterpretiert. In Wirklichkeit handelt es sich um völlige Hilflosigkeit.
AUTORITÄT IST NICHT GLEICH GEWALT
In der modernen Hundehaltung ist das Grenzensetzen ebenso verpönt wie in der Kindererziehung. Stattdessen ist eine Art »Kuschelpädagogik« angesagt, die Konflikten lieber aus dem Weg geht, als sich ihrer anzunehmen. Das Ergebnis: Wer seinem Hund heute etwas klar und deutlich verbietet oder sich gar wagt, das Wort »Abbruchsignal« in den Mund zu nehmen, wird schnell als Ewiggestriger abgestempelt. Schließlich soll in der Beziehung zwischen Mensch und Hund alles leise und harmonisch ablaufen. Dementsprechend gelten die Regeln der positiven Verstärkung bei der Erziehung als A und O. Alles andere ist rohe Gewalt. Basta!
Das Zauberwort heißt »ignorieren«. Und viele meinen, dass unerwünschte Verhaltensweisen sich ganz von alleine erledigen, wenn man sie nur lange genug nicht zur Kenntnis nimmt. Wer berechtigte Zweifel an dieser Theorie anmeldet und es nicht schafft, sich entsprechend zu verhalten, der bekommt schnell einen Stempel mit der Aufschrift »pädagogisch unfähig« verpasst.
KONFLIKTE SOFORT AUSTRAGEN
Wenn die Regeln der ausnahmslos angewandten positiven Verstärkung nicht greifen, wissen viele Menschen nicht, wie sie die Situation wieder in den Griff bekommen sollen. Doch gerade aufgrund so eines unklaren Beziehungsverhältnisses nimmt die »Seele« des Hundes Schaden.
Ohne klare Struktur fehlt dem Hund jene Berechenbarkeit, die er braucht, um sich in einer sozialen Mischgruppe zurechtzufinden und wohlzufühlen. Stattdessen macht sich Orientierungslosigkeit breit, was unweigerlich zu weiteren Missverständnissen führt und zukünftigen Problemen Tür und Tor öffnet. Abgesehen davon ist das dauerhafte Ignorieren aus verhaltensbiologischer Sicht nur eine andere, schön verpackte Form der Gewalt.
Kaniden selbst ignorieren sich untereinander niemals über einen längeren Zeitraum, weil dies einer sozialen Isolation gleichkäme. In der Kanidengesellschaft wird sofort und unmissverständlich geregelt, wenn es situationsbedingt etwas zu klären gibt. Kaniden haben nicht ohne Grund über Jahrtausende hinweg ein feines, diffiziles System des Konfliktmanagements entwickelt, das weder Vertrauen noch Bindung zerstört. Unsere Freilanduntersuchungen an Wölfen und verwilderten Hunden konnten dies sogar wissenschaftlich nachweisen: Nach einem Konflikt signalisieren ranghohe Tiere aktive Versöhnungsbereitschaft, und so geht die Beziehung nach einer kurzen Auseinandersetzung genau dort weiter, wo sie vorher aus nachvollziehbaren Gründen für kurze Zeit unterbrochen wurde. Kaniden sind nicht nachtragend. Und genau das sollten wir von unseren Hunden lernen.
Gemeinsam durch dick und dünn
Was Hunde stark macht
Von Anfang an einzigartig
Jeder Hund bringt bei seiner Geburt ein gewisses Maß an Charakterzügen mit. Und tatsächlich wird sein Wesen zu einem gewissen Teil von den Erbanlagen bestimmt. Allerdings haben auch die Erfahrungen, die er im Laufe seines Lebens macht, großen Einfluss auf sein Verhalten.
Was prägt den Hund?
NINA RUGE: Natürlich ist ein Ridgeback kein Mops, und ein Terrier ist kein Windhund. Wie auch? Jede Rasse hat ihre typischen Eigenschaften, und die sind durchaus hilfreich, wenn es darum geht, die richtige Entscheidung für und über das vierbeinige Familienmitglied zu treffen. Doch wie groß ist der Spielraum? Es gibt ja auch innerhalb einer Rasse ganz unterschiedliche Charaktertypen. Ich denke da nur an Simba und Vroni: die eine ängstlich und zurückhaltend, die andere freundlich und gemütlich.
Ein Berner Sennenhund in der Nachbarschaft kommt aus dem Tierheim. Er ist ein Bild von einem Hund, aber schüchtern bis in die Krallenspitzen. Dazu ist er unterwürfig und die Dankbarkeit auf vier Pfoten.
Immer wieder signalisiert er seinem Herrchen: »Danke, dass du mich haben willst und behältst.« Bei den anderen Hunden in der Familie hat er mit diesem Verhalten keine Chance. Obwohl er der Größte und Imposanteste ist, steht er in der Hierarchie ganz unten. Sich aus dieser Rolle zu emanzipieren dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein, auch wenn das Herrchen ihn unterstützen würde. Doch wie sieht es aus, wenn ein Hund Aufmerksamkeit und Ressourcen nicht mit Artgenossen teilen muss? Ist es dann
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