Was geschah mit Angelika H.
kranken Mann namens Hilling, der vor seiner Reise ins Nirwana seine Enkelin wiedersehen möchte, und ich schätze, Sie sind der Mann, der mir bei der Suche weiterhelfen kann.«
»Hilling? Ich kenne keinen Hilling. Ich …«
Markesch verlor endgültig die Geduld. Er packte Arupa am Kragen seines himmelblauen Hemdes und zog ihn halb über den Tresen.
»Okay«, zischte er, »okay, du hast die Wahl. Entweder du machst Schluß mit diesem schlechten Theater und erzählst mir alles, was du über Angelika Hilling alias Ma Purana weißt, oder ich setze dich in die verdammte Saftpresse, und dann geht’s ab ins nächste Leben, aber pronto! Ist das klar?«
Der Sanyit schluckte. »Einverstanden, einverstanden, reden wir miteinander. Ich sage Ihnen alles, was ich weiß, in Ordnung?«
»Warum nicht gleich so?« fragte Markesch zufrieden und ließ ihn lös. »Ich wußte doch, daß ein paar freundliche Worte Wunder wirken können. Also, wo ist Angelika Hilling?«
Arupa fuhr sich nervös über die Lippen. »Ich weiß es nicht, ich … Nein, halt, verdammt, ich weiß es wirklich nicht! Glauben Sie mir! Sie kam vor ein paar Monaten ins Meditationszentrum. Es ging ihr nicht gut; sie war völlig fertig, betrunken und auf Tabletten, Beruhigungstabletten. Sie schrie herum und weinte, ließ sich auch nicht beruhigen. Die anderen wollten sie rauswerfen, aber ich … sie brauchte Hilfe, und ich hatte das Gefühl, daß ich ihr diese Hilfe geben konnte. Es war … eine Frage des Karmas, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Sicher. Erzählen Sie weiter.«
»Nun ja, ich nahm sie mit nach Hause. Im Aschram konnte sie nicht bleiben; mit ihren schlechten Vibrationen vergiftete sie die ganze Atmosphäre. Sie blieb dann bei mir. Wir wurden Freunde, gute Freunde, und Angelika wurde schließlich eine von uns. Ma Purana. Es ging ihr besser – eine Zeitlang. Sie nahm keine Tabletten mehr, trank keinen Alkohol. Sie schien Frieden zu finden. Und nach all dem, was sie erlebt hatte, hatte sie Frieden bitter nötig.«
Markesch runzelte die Stirn. »Was meinen Sie damit, nach all dem, was sie erlebt hatte?«
»Sie wissen es nicht?« Bikshu Arupa sah ihn überrascht an. »Sie arbeiten doch für ihren Großvater. Hat er es Ihnen nicht gesagt?«
Markesch trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Tresen. »Was gesagt? Reden Sie schon!«
»Ihre Eltern – sie sind tot. Sie starben vor zwei Jahren bei einem Autounfall – ihr Wagen ging in Flammen auf und sie verbrannten.« Der Sanyit schwenkte wild den Gemüsecocktail, als wollte er im nachhinein den brennenden Wagen löschen. »Angelika saß ebenfalls im Auto, aber sie wurde hinausgeschleudert. Sie hat alles mitangesehen – bis der Tank explodierte und sie mit brennendem Benzin überschüttete.« Er stellte das Glas fort. »Sie wurde übel zugerichtet, lag monatelang auf der Intensivstation. Ihr ganzer Körper ist noch immer mit Brandnarben bedeckt; die Ärzte haben es mit Hauttransplantationen versucht, aber es kam zu allergischen Abstoßreaktionen. Sie wird für immer verunstaltet sein.«
Markesch sagte nichts.
»Sie hat ein schweres Karma zu tragen«, fügte Arupa hinzu. »Manche von uns werden mehr geprüft als andere. Damit sie reifen. Nur großer Schmerz kann die Schale zerbrechen, die unsere Seele umgibt. Aber manchmal richtet sich der Schmerz auch nach innen, und die Seele zerbricht.«
»Und Sie glauben, daß dies bei Angelika Hilling der Fall ist?«
Der Sanyit zuckte die Schultern. »Wir konnten ihr nicht helfen. Einige von uns sind ausgebildete Psychotherapeuten – Gestalt, Reiki, Primärtherapie, Reinkarnationstherapie – aber sie drangen nicht zu ihr durch. Sie begann wieder Alkohol und Tabletten zu nehmen. Es war aussichtslos. Vor vier Wochen verschwand sie dann.«
»Sie verschwand?« Markesch hob die Brauen. »Ohne eine Nachricht zu hinterlassen? Einfach so?«
»Sie hat ihren Koffer gepackt und ist gegangen. Einfach so. Ich dachte, sie wäre zu ihrem Großvater zurückgekehrt, aber zum Glück scheint sie das nicht getan zu haben.«
»Zum Glück?«
»Es wäre der Tod für sie. Angelika ist aus seinem Haus geflohen, weil sie sonst gestorben wäre. Er hat sie ausgesaugt, verstehen Sie, psychisch, ihre Lebenskraft … Sie haben selbst gesagt, daß Hilling ein todkranker Mann ist. Die Sterbenden sind eifersüchtig auf die Lebenden. Voller Haß. Voller Neid.« Er nickte heftig. »Manche versuchen, einen mit ins Jenseits zu ziehen – selbst wenn sie tot sind, versuchen sie es
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