Was geschah mit Angelika H.
daß er die Whiskyflasche bereits gestern abend geleert hatte, nach seinem Besuch im Krishna. Er fühlte sich leicht benommen, fast transzendent, und vage dämmerte ihm, was die Buddhisten meinten, wenn sie die materielle Welt als Täuschung bezeichneten, als bloße Erfindung des menschlichen Geistes, nicht realer als ein Hollywoodfilm, aber schlechter besetzt und von einem lausigen Regisseur gedreht.
Das Gerede über Karma, Vibrationen, Wiedergeburt und Astralfotografien war weder seinem Gemüt noch seinem Magen bekommen, ein überzeugender Beweis dafür, wie ungesund jegliche Spiritualität war, und die metaphysische Leere in ihm schrie geradezu nach einem handfesten kölschen Frühstück.
Er fuhr in die Innenstadt, stellte seinen Wagen im Parkhaus am Bahnhof ab und suchte dann das Früh am Dom auf, ein Brauhaus auf gut Kölsch, das für die Domstadt die gleiche Bedeutung hatte wie der Löwenbräukeller für München. Bei Halven Hahn, einer Kölner Spezialität aus mittelaltem Gouda, Röggelchen, Butter, Mostert und Kölsch, dachte er über sein Gespräch mit Bikshu Arupa und seine weiteren Schritte nach.
War dem Sanyiten wirklich zu trauen?
War Angelika Hilling tatsächlich spurlos verschwunden oder wollte er sie nur vor lästigen Fragestellern abschirmen?
Und was war mit diesem mysteriösen Halbbruder, dem gewalttätigen Fredy, der Bikshu Arupa zusammengeschlagen hatte? Wieso hatte ihn der alte Hilling nicht erwähnt? Und was hatte er von seiner Halbschwester gewollt? Mit Sicherheit nichts Gutes.
War Angelika Hilling untergetaucht, um Boruschkas Nachstellungen zu entgehen?
War sie in Gefahr?
Zumindest schien sie selbstmordgefährdet zu sein, und dieser Punkt machte Markesch die größten Sorgen.
Dieser Doktor Roth, dachte er. Ihr Psychiater. Er müßte wissen, ob tatsächlich Suizidgefahr besteht.
Eine steile Falte entstand auf seiner Stirn.
Eine tote Enkelin wäre nicht nur ein tragischer Verlust für den alten Hilling, sondern auch für ihn. Er bezweifelte, daß der Oberst a.D. ihm für diese traurige Botschaft ein Erfolgshonorar zahlen würde.
Freudlos stürzte er das Kölsch hinunter und bestellte beim Köbes ein neues.
Es gab noch ein anderes, ebenso dringliches Problem – Laurel und Hardy, die zwei von der Schutzgeldmafia. Die Anschläge auf das Café Regenbogen mußten sofort aufhören. Zum Teufel, bisher hatten sich die Mafiosi auf die Erpressung ihrer italienischen Landsleute beschränkt, auf die umsatzstarken, florierenden Pizzerien.
Wieso fielen sie jetzt über ein kleines Café wie das Regenbogen her, wo die Mühe kaum den Ertrag lohnen konnte? Und wieso ließen sie solche Armleuchter wie Laurel und Hardy für sich arbeiten, deren Intelligenzquotient nicht einmal für den Überfall auf einen Kaugummiautomaten ausreichte?
Dieser nächtliche Überfall aufs Café, die Zertrümmerung des Mobiliars, diese ganze schreckliche Verwüstung ergab keinen Sinn.
Wer schlachtete schon eine Kuh, die er melken wollte?
Brutale Gewaltaktionen waren im Repertoire dieser Leute normalerweise das letzte Mittel. Andererseits – wer wußte schon, was in den Köpfen von kriminellen Arschlöchern vor sich ging, die eine ganze Pizzeria in die Luft jagten, nur weil der Besitzer kein Schutzgeld zahlen wollte?
Vielleicht weiß es Ronnie der Zwerg, dachte Markesch. Er ist mir sowieso noch was schuldig. Verdammt, Laurel und Hardy können in der Unterwelt keine Unbekannten sein. Solche Typen sind so auffällig wie alte Fischköpfe in einer Parfümerie. Und genauso lästig.
Ronnie der Zwerg residierte in einer Spielhalle unweit vom Chlodwigplatz, Herzstück eines bundesweiten Imperiums glitzernder, klingelnder Groschengräber, das er sich in den letzten Jahren aufgebaut hatte – und zwar ausschließlich mit Methoden, für die die Bezeichnung illegal noch geschmeichelt war.
Es gab Gerüchte, daß er noch andere Geschäfte betrieb – Hehlerei, Waffenschieberei, Drogenhandel, die schmutzige Dreifaltigkeit des kriminellen Götterhimmels – und Markesch war überzeugt, daß sein ganzes Spielhallenimperium nur deshalb so florierte, weil er es als Waschanlage für die Profite aus den illegalen Geschäften benutzte: aus Drogengeld wurden so unversehens Glücksspielgewinne.
Aber immerhin war der Zwerg clever genug, sich nicht erwischen zu lassen. Ganze Generationen von Kripobeamten und Staatsanwälten hatten sich an ihm die Zähne und das Zahnfleisch ausgebissen, und nicht einmal einer Sonderkommission des BKA war
Weitere Kostenlose Bücher