Was geschah mit Angelika H.
knapp, den Doktor zu sprechen.
»Sind Sie ein Patient?« drang es mit der Liebenswürdigkeit einer Kreissäge aus der Hörmuschel. »Doktor Roth ist sehr beschäftigt. Selbst wenn Sie ein Patient sind, können Sie ihn jetzt nicht sprechen, und wenn Sie keiner sind, schon gar nicht.«
»Mein Name ist Markesch, Doktor Markesch. Ich bin der Chefredakteur von Freuds Couch, der führenden Fachzeitschrift für Psychologie, Psychiatrie und Psychopathen. Die Redaktion hat Doktor Roth zur großen Freude aller Beteiligten zum Freudianer des Jahres gewählt. Ich will ihm die freudige Botschaft überbringen und ihn gleichzeitig zur Preisverleihung einladen – nichts Weltbewegendes, nur einen fetten Scheck und eine Goldene Couch im Maßstab eins zu zehn, aber ich dachte mir …«
»Das ist ja wirklich eine Freude!« jubelte die Kreissägenstimme mit hörbar erhöhter Drehzahl. »Einen Augenblick, Doktor Markesch, ich verbinde.«
Markesch wartete.
Es dauerte wesentlich länger als einen Augenblick, doch dann meldete sich eine andere Stimme, männlich, vertrauenswürdig, wie geschaffen, um jeden verschreckten Neurotiker binnen eines einzigen Tages zu heilen.
»Markesch? Sind Sie der Markesch, den der alte Hilling engagiert hat, dieser Privatdetektiv?«
»Genau dieser Markesch bin ich«, bestätigte er. »Sie können sich also denken, weswegen ich anrufe.«
Roth lachte. Markesch gefiel dieses Lachen. Es kam aus dem Bauch, offen, ehrlich, ungekünstelt.
»Sonst hätte ich diesen dubiosen Anruf gar nicht erst entgegengenommen – Freudianer des Jahres, die Goldene Couch, na, hören Sie …! Ich bin wirklich sehr beschäftigt. Ich schätze, es geht um Angelika Hilling. Haben Sie sie gefunden?«
»Noch nicht. Ich stehe erst am Anfang meiner Ermittlungen. Allerdings habe ich einige Dinge in Erfahrung gebracht, die mir Sorgen machen. Ich dachte mir, Sie als ihr Therapeut könnten diese Sorgen vielleicht zerstreuen.«
Roth schwieg einen Moment. »Sie wissen, daß es so etwas wie ein Arztgeheimnis gibt …«
»Sicher. Aber es könnte sein, daß Angelika in Gefahr ist. Halten Sie sie für suizidgefährdet?«
»Suizidgefährdet? Wie kommen Sie denn darauf? Hat Anton das behauptet? Nein, auf keinen Fall. Sicher, sie hat Schreckliches durchgemacht, und sie ist noch immer nicht ganz über den Berg, aber sie ist eine starke Persönlichkeit. Lebensbejahend. Optimistisch.«
Markesch runzelte die Stirn. Das war genau das Gegenteil von dem, was Bikshu Arupa behauptet hatte. »Sie hatte doch Probleme mit Alkohol und Tabletten?«
»In der ersten Zeit nach dem tödlichen Unfall ihrer Eltern. Ich habe sie lange therapiert und ich kann nicht sagen, daß es ein ernstes Problem war. Mehr ein kurzfristiges Fluchtverhalten. Sozusagen halbherzig. In Krisensituationen kann es natürlich zu einem Rückfall kommen, so etwas ist niemals auszuschließen, aber sie ist nicht der Persönlichkeitstyp mit dem klassischen Suchtprofil.«
»Klingt beruhigend.«
»Hören Sie, Markesch, ich … Was ich Ihnen jetzt sage, muß unter uns bleiben. Ich war es, der Angelika geraten hat, das Haus ihres Großvaters zu verlassen. Sie ist eine junge Frau, die nach einer Zeit schwerer Krisen zurück ins Leben gefunden hat, und Anton Hilling … Er ist ein alter, kranker Mann. Seine Enkelin ist alles, was ihm geblieben ist, und er klammert sich an sie. Aber Angelika braucht jetzt Freiraum, Luft zum Atmen, verstehen Sie?«
»Sicher.«
»Ich halte es auch für falsch, daß er Angelika durch Sie suchen läßt. Es ist menschlich verständlich, trotzdem … In Angelikas Interesse wäre es besser, wenn Sie sie nicht finden würden.«
»Obwohl ihr Großvater todkrank ist? Vielleicht weiß sie es nicht einmal. Vielleicht möchte sie ihn noch einmal sehen, bevor er stirbt.«
»Schwer vorstellbar. Zwischen den beiden bestand nie ein gutes Verhältnis, um es vorsichtig auszudrücken.«
Markesch dachte nach. »Hat sie sich in den letzten Wochen bei Ihnen gemeldet?«
»Nein, und ich halte das für ein außerordentlich positives Zeichen. Wäre sie in Schwierigkeiten, hätte ich längst etwas von ihr gehört. Ich habe es auch ihrem Großvater gesagt, doch bedauerlicherweise hat er meine Einwände ignoriert … Er ist ein sehr selbstsüchtiger, ichbezogener Mensch. Blind für die Bedürfnisse und Wünsche anderer. Ich fürchte, er hat Sie nur mit der Suche nach Angelika beauftragt, weil er sich in seinem patriarchalischen Selbstverständnis gekränkt fühlt.«
»Gut möglich«,
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