Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregor Sander
Vom Netzwerk:
gewesen, Julius trug kurze Jeans, und durch das offene Fenster zog der kühlende Fahrtwind. Astrid konnte ihn davon abhalten, sie an das Gartentor zu bringen, weil sie befürchtete, dass Tobias dort stehen würde, um nach ihr Ausschau zu halten. Ganz still standen dort die kleinen Zelte unter den Obstbäumen. Vielleicht hatte sie das auch nur gehofft, dass Tobias dort stehen würde, denn der lag im Zelt, und als sie leise reinkrabbelte, fragte er: »Wie spät ist es?«
    »Schon zwei«, antwortete sie wahrheitsgemäß. Sie wusste, dass er das gleich auf seiner Digitaluhr überprüfen würde. Das war wie ein Reflex bei ihm.
    »Ganz schön spät«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Ich hab mir schon Sorgen gemacht.«
    »Deswegen hast du dich auch schön schlafen gelegt«, hatte sie ihn angefahren, aber er reagierte gar nicht darauf, und sie lag auf dem Rücken hellwach und atmete die stickige Zeltluft ein. Sie hätte sich gern mit Tobias gestritten, aber der schnarchte schon leise. Ein kleines blondes Mädchen mit pinken Haarspangen fragt seine Mutter: »Warum heißt das eigentlich Fischerbastei? Also warum: Fischer?« Sie stolpert über Astrids Beine, und die Mutter, die die schrägstehenden Augen ihrer Tochter hat, fängt sie auf und entschuldigt sich wie selbstverständlich auf Deutsch. »Kein Problem«, sagt Astrid. Paul scheint die Kleine gar nicht bemerkt zu haben und guckt Richtung Donau.
    Wie Julius dagesessen hatte vorgestern, in diesem kurzen Moment, in dem sie ihn im Restaurant gesehen hatte. Sie bedauert, dass sie nicht länger hingesehen hatte, und ist doch erstaunt, dass sie ihn sofort und in der Sekunde erkannt hatte. Genau wie seinen Bruder Sascha. Damals hatten sie dort zu viert um den Tisch gesessen, und Julius’ Vater, den sie dort zum ersten Mal sah und der mehr Ähnlichkeit mit Julius hatte als mit Sascha, fragte sie aus. Was sie in Budapest mache. »Mit einer Freundin Urlaub«, hatte sie gelogen. »Warum hast du die denn nicht mitgebracht?«, hatte er gefragt und sich seine schütter werdenden Haare nach hinten gestrichen. »Dem gibst du dein Herz, und der macht Hackfleisch daraus, das weißt du, und du gibst es ihm trotzdem«, hatte die Freundin von Julius’ Mutter auf diesem Fest im Forsthaus damals gesagt, und dieser Satz war Astrid nie aus dem Kopf gegangen. Ob das auch für den Sohn galt und sie es nur nicht begreifen wollte? Aber auch sie mochte Julius’ Vater, die Art, wie er sprach, leise und doch bestimmt. Wie er darauf achtete, wann ihr Glas leer war, und sich erkundigte, ob es ihr schmecken würde. »Was arbeiten Sie denn?«, traute sie sich irgendwann zu fragen, und Julius’ Vater lächelte, ohne etwas zu sagen. Dann sagte er: »Ich kaufe und verkaufe.«
    »Genau«, sagte Sascha und sah Astrid an. »Zum Wohle der Menschheit.« Er verdrehte die Augen dabei. Das war der kleine Sascha, der gerade erst achtzehn Jahre alt war, mit einem Babygesicht. Der Sommersprossen hatte und in ein paar Wochen nach Berlin ziehen wollte. Nicht der Mann mit dem rasierten Schädel, der gestern im Restaurant des Gellért Hotels gesessen hatte.
    Astrid zieht ihre Unterlippe mit zwei Fingern lang und legt dann den Kopf auf Pauls Schulter und atmet seinen Geruch ein, der ihr vertraut ist und doch unbeschreiblich. Paul eben. »Wie hatte Julius gerochen?«, fragt sie sich und weiß es doch sofort wieder. Nach See und süßlich ein bisschen. Julius eben. Sie sieht ihn vor sich mit der braunen weichen Haut. Fast ein Kind war er da noch, und sie erst recht.
    Nach Westberlin wollte Sascha damals ziehen, damit er nicht zur Armee musste. »Feigheit vor dem Feind«, nannte sein Vater das und sagte: »Ein bisschen Disziplin würde dir nicht schaden.« Dann sah er Astrid an und sagte: »Neulich zum Beispiel, da habe ich von einer Firma in der Zeitung gelesen, die einen Spezialbeton herstellt, mit dem Mülldeponien abgedichtet werden. Der wird auf der ganzen Welt verbaut. Im Wirtschaftsteil stand das. Hätte jeder andere auch lesen können.« Er nahm seine Serviette hoch, fuhr sich über den Mund und legte sie dann wieder behutsam über die Knie. »Dann haben wir ein bisschen recherchiert. Es gab genau drei solcher Firmen weltweit, die diesen Spezialbeton herstellen. Eine in Deutschland, eine in Australien und eine in den USA. Also haben wir die drei gekauft, die Besitzer wurden als Geschäftsführer eingesetzt, und dann haben wir eine große Firma draus gemacht. Am Ende haben wir sie an den größten amerikanischen

Weitere Kostenlose Bücher