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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregor Sander
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aussahen wie von einem Segelschiff.
    Katharina hatte mich am Arm gepackt und führte mich durch die Menschenmassen an den Rand der Wiese. Dort setzten wir uns in den Schneidersitz, und sie deutete auf den Reichstag. »Guck dir an, wie der Stoff fällt, wie bei einem Kleid. Wie elegant das aussieht und wie schön das alte Haus plötzlich ist. Schön war das nie, und das wird auch nie wieder schön, da können die noch so viele Glaskuppeln drauf bauen. Das ist es nur jetzt für zwei Wochen, und das wusste dieser kleine verrückte Bulgare. Immer schon wusste der das. Und seine verrückte Frau auch, was immer die eigentlich gemacht hat bei dieser Aktion.« Sie wirkte völlig entspannt und gelöst, während sie sprach, und ich hatte das »verhuscht« immer noch nicht vergessen.
    »Zwanzig Jahre lang hat Christo daran gearbeitet. Hat diese idiotischen westdeutschen Politiker überzeugt. Diese Spießer und Hosenscheißer. Die eine Seite des Gebäude stand im Osten, es musste also erst die Mauer fallen, weil die Russen und die Zone natürlich auch nicht mitmachen wollten. Dann hat er den Stoff herstellen lassen und die Seile und alles eingepackt. Hitler, Goebbels, Wilhelm Zwo, den Osten und den Westen. Alles weg. Eingepackt. Das schenkt er uns hier für zwei Wochen. Er hat das für sich gemacht. Christo sagt, er habe das für sich ganz allein gemacht. Aber es würde ihn freuen, wenn es den anderen Menschen auch gefällt.«
    Wir saßen da, nebeneinander, von der Sonne beschienen, und je länger ich auf dieses riesige Paket guckte, auf die Leichtigkeit des fallenden Stoffes und die flimmernden Reflexionen des Lichts, wie es dastand, wie etwas ganz und gar Unerhörtes, Kindliches und trotzdem sehr Perfektes. Der Wind spielte mit dem glitzernden Stoff, und jeder Turm war einzeln verpackt und fügte sich doch in ein Ganzes. Die Helligkeit wurde durch das dunkle Grün der Bäume drum herum noch verstärkt.
    Die Menschen um uns herum waren ausgelassen und fröhlich. Ein paar Meter weiter spielte eine Indiokapelle auf ihren Flöten und Bongos. Seit den Tagen des Mauerfalls hatte ich nie wieder eine so große Menschenmenge so glücklich gesehen. Ein älterer Mann in einer Bundfaltenhose und mit einem violett bedruckten Hemd nahm seine Frau, eine pummelige Person, in den Arm und sagte: »Wir müssen das doch einmal anfassen.« Ich legte meinen Kopf auf Katharinas Schulter, und sie drückte ihr Gesicht ganz sanft an meinen Haarschopf. Ich hörte sie atmen, ganz ruhig, und fragte leise: »Und Julius, wie geht es ihm?«

Erdbeerkuchen
    Es ist dunkel, und Astrids Augen gewöhnen sich nur sehr langsam daran. Sie weiß, dass Paul neben ihr auf dem Fußboden sitzt und auf der anderen Seite Julius steht. Ihr gegenüber wird Sascha an der Wand lehnen. Sonst ist niemand in diesem kleinen dunklen Raum.
    »Ihr müsst eine Weile drinbleiben, dann werdet ihr schon sehen«, hatte Margarete gesagt und Astrid dabei freundlich angelächelt. Ihr Deutsch hatte so gut wie keinen Akzent, und Astrid wusste von Sascha, dass die Ungarin Kunst in Offenbach studiert hatte. Margarete stand in der kleinen Galerie hinter einem Tisch, bediente eine Espressomaschine und verteilte selbstgemachten Erdbeerkuchen. Das heißt, eigentlich machte sie den Kuchen gerade in diesem Moment. Sie drapierte die Zutaten auf einem runden mürben Tortenboden. Eine kleine zarte Frau mit sehr schlanken Armen. »Mädchenhaft«, dachte Astrid und war froh, dass sie wusste, dass Margarete gerade vierzig geworden war. Sie sah nicht so aus.
    Ihre hellblond gefärbten Haare waren am Ansatz dunkler und nachlässig hochgesteckt, wie ein Heuhaufen. Eine Strähne fiel ihr über das linke Ohr, auf dem der Bügel einer breitrandigen schwarzen Brille saß. Astrid fand, dass Margarete diese Brille trug wie eine Waffe, geeignet für die Abwehr wie für den Angriff. Sie trug ein lila T-Shirt mit tiefem, rundem Kragen, Jeans, und auf ihren Stoffturnschuhen war ein verblichenes Leopardenmuster zu erkennen. Der grüne Farbklecks auf der Spitze des einen wirkte dekorativ und war vermutlich beim Aufbau der Ausstellung entstanden.
    Astrid erkennt inzwischen die Konturen der drei Männer, die mit ihr in diesem dunklen Raum sind. Sonst sieht sie nichts. Sie hört Julius neben sich atmen. Sascha, über dessen Massigkeit sie immer noch überrascht ist, verschränkt die Arme vor der Brust und sieht sich um. Astrid versteht diese »Camera obscura« nicht, so wie sie die ganze Ausstellung dieser Margarete nicht

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