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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregor Sander
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Also weiterstudieren. Mir eine Wohnung suchen. So Sachen.«
    »Warst du nicht unheimlich wütend?«, fragt Paul und schlägt tatsächlich mit der flachen Hand auf den Tisch vor sich.
    »Auf wen? Auf Astrid? Meinen Bruder, der mir die Hucke vollgelogen hat oder auf Stasi-Jana, die mir immerzu erzählt hat, wie toll Astrid und ich zusammenpassen würden? Auf meinen Vater vielleicht? Der immer schon wollte, dass ich in den Westen abhaue?«, sagt Julius und stellt seine Tasse auf den Tisch. Das Klirren mischt sich in die Anfangstakte von Amy Winehouse’ »Back to black«, das eine der Kellnerinnen hinter der Bar sofort etwas lauter dreht, sie wippt im Rhythmus mit dem Kopf.
    »Ich war wütend auf mich. Dass ich mich auf dieses Himmelfahrtskommando eingelassen hatte. Aber nun war ich da, und es gab keinen Weg zurück.«
    Sascha grinst Paul an und sagt: »Vergiss es. Die beiden waren schon immer so. Eigentlich ein tolles Paar, finde ich immer noch. Aber eben auch wie Hund und Katze. Guck sie dir an«, sagt er und zeigt erst auf Astrid und dann auf Julius, und die sehen sich an, und für einen Moment ist nur das Klavier aus den Boxen zu hören.
    Astrid muss an Julius’ Mutter denken, wie sie ihr von ihrem Sohn erzählt hat vor dem eingepackten Reichstag. Wie sie beide im dünnen, trockenen Gras in der Sonne saßen und auf dieses glitzernde Gebäude blickten. »Diese Karin hat ihn nach ein paar Tagen gefunden«, hatte Katharina gesagt. »Die Mauer fiel, und ich traute mich noch nicht in den Westen, weil ich immer noch Angst hatte, dass sie die Mauer wieder zumachen würden. Drei Tage habe ich gebraucht, um mich mit meinem eigenen Sohn zu treffen. In Westberlin, weil er Schiss hatte, dass die Ostler ihn auf unserer Seite verhaften würden. Aber Karin fand ihn in Hamburg, schon am 10. November 1989, zog direkt wieder bei ihm ein, und der Wahnsinn ging weiter. So als wenn nichts gewesen wäre. Als wäre er nie abgehauen und weggelaufen vor ihr.« Astrid war wirklich geschockt gewesen von dieser Nachricht, auch wenn Julius’ Mutter hinterherschob, dass die »ganze Chose« nur noch ein Jahr ging und dann endgültig vorüber war. Dass er Karin einfach wieder in die Arme geschlossen hatte und nach ihr nicht einmal gesucht hatte, wenigstens um ihr Vorwürfe zu machen, hatte ihre Enttäuschung bodenlos gemacht.
    »Das ist ewig her. Was sollen wir noch klären, lass es gut sein«, sagt Julius, greift nach seiner Zigarettenschachtel und verlässt das Café, und Astrid weiß, dass Paul ihm am liebsten folgen würde.
    So wie er auch jetzt sehnsüchtig neben den beiden Brüdern steht, die vor der Galerie in der kleinen Doharty utca stehen und Rauch in die klare Frühlingsluft blasen. Astrid stellt sich dazu und umfasst mit beiden Händen diese Tasse mit dem Rosenmuster, die ihr Margarete noch einmal mit Cappuccino gefüllt hat. »Wir warten kurz, bis Margarete hier fertig ist, und dann gehen wir zu Józef in die Josefstadt«, sagt Sascha und freut sich über das Wortspiel. »Das ist ihr Mann und der Beste von allen. Also, Künstler meine ich.«
    Paul gefällt die Wohnung, und er könnte Józef stundenlang zuhören. Diesem kleinen Ungarn in Jeans und Nirvanahemd, dessen rasierter Schädel im Schein der Küchenlampe glänzt. Er sieht aus wie ein alt gewordener Teenager. Józef reicht Paul eine Bierdose, und der kann nicht nein sagen in dieser Küche, in die kaum Tageslicht fällt, auch wenn es erst Nachmittag ist. Er will es auch gar nicht und sieht sich nicht einmal nach Astrid um. Józef fuchtelt mit den Händen ein paar Fruchtfliegen weg und entschuldigt sich auf Englisch für die winzigen Tiere, sagt aber auch, dass er sie nicht töten könne, weil er »a kind of Buddhist« sei. Sascha lacht laut, und auch Julius hockt zufrieden auf dem alten Küchensofa, und wüsste Paul nicht, dass Julius eine Affäre mit Józefs Frau hat, würde er im Leben nicht darauf kommen.
    Die Wohnung trägt den Charme einer vergangenen Zeit. Bröckelnder Stuck an der Decke, alte Kastendoppelfenster mit Messinggriffen, große Flügeltüren zwischen den Räumen, Bakelitlichtschalter. Seit Jahrzehnten wurde nichts renoviert, und Paul fühlt sich hier so wohl wie im alten Westberlin, wie in Kreuzberg in den Achtzigern. Sascha erzählt von den Kunstaktionen, die Józef gegen die regierende Fideszpartei unternommen hat und die er und Sascha nun in Hamburg zeigen wollen. »Nur wird das dort niemanden interessieren«, sagt Sascha und steckt einen Stecker in die

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