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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregor Sander
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Steckdose. Ein großer Getränkeautomat, der neben ihm steht, leuchtet auf. »Smellection Automat« steht in großen schwarzen Buchstaben darüber. In den Fächern, in denen man normalerweise zwischen Cola, Wasser oder Bierdosen wählen kann, liegen Socken, Unterhosen und ein zusammengeknautschtes T-Shirt. Und daneben sind die Bilder von zwölf Politikern aufgeklebt. Paul erkennt Premierminister Orbán und Außenminister János Martonyi. Immer mal wieder hat er in den letzten Wochen in seiner Radiosendung über Ungarn berichtet. Über die Verfassungsänderungen zum Wohle der Fideszpartei. Die Beschneidung der Medienfreiheit. Den Rauswurf eines unliebsamen Theaterdirektors.
    »Das sind nicht nur Fideszpolitiker, sondern das ist die ganze ungarische Politikermischpoke«, sagt Sascha und deutet auf die Gesichter. »Józefs Wahlautomat geht davon aus, dass wir Beziehungen eingehen, weil wir uns gut riechen können oder eben nicht. Und er empfiehlt das auch für die Politik.« Sascha wirft ein Geldstück ein und drückt auf den Knopf, neben Orbáns Gesicht. Dann lacht er auf und sagt: »Und das Tollste ist: Der Automat ist kaputt. Von Anfang an war er das, und trotzdem werfen die Leute in den Ausstellungen Geld rein und fragen, ob das wirklich Orbáns Socken sind.«
    Sascha stößt gegen den »Smellection Automat« wie gegen einen kaputten Kühlschrank. »Im letzten Jahr haben wir Józef ein Stipendium in Berlin besorgt. Da gab es immerhin … How much was your grant in Berlin last year?«, fragt Sascha Józef. Der dreht gerade eine Zigarette, schaut kurz auf und sagt dann: »2000.« Sascha macht eine wegwerfende Handbewegung: »Jedenfalls hat er 1000 davon in 10-Cent-Münzen eingetauscht und im Berliner Skulpturenpark ausgestreut. Sehr zur Freude der Kinder und Penner. Aber selbst die haben bald aufgehört, das aufzuheben, weil es so mühsam war, auf diesem großen Gelände das verstreute Geld zu finden. Aber wie willst du das in einer Hamburger Galerie zeigen?« Er schlägt Józef auf den Oberschenkel, ihre beiden rasierten Schädel berühren sich fast, und Sascha lacht: »But we will make it!« Józef nickt lächelnd und steckt sich seine gedrehte Zigarette an.
    Astrid sitzt vor der Wohnung. Die wird von hinten betreten, obwohl sie im Vorderhaus liegt. Das Treppenhaus endet auf einer schmalen Empore, die hinter den Wohnungen entlang zu den Eingangstüren führt. Hier hat sich Astrid hingesetzt, als drinnen das erste Bier aufgemacht wurde. Vom dritten Stock aus kann sie runter in den Hof gucken, in dessen Mitte ein Baum steht, dessen obere Äste berühren fast ihre Füße, die sie durch das Geländer gesteckt hat. Sie hört, wie jemand aus der angelehnten Tür hinter ihr tritt, und Margarete setzt sich neben sie. Steckt ebenfalls ihre Beine durch die Metallstreben des Geländers und lässt sie baumeln. »Du hast dir einen schönen Platz gesucht«, sagt sie und deutet in den Hof. »Das ist ein Pflaumenbaum. Im September ist er voller Früchte, und es riecht unglaublich.«
    Astrid hat beobachtet, wie Margarete vorhin die Wohnung betrat und Józef begrüßte mit einem flüchtigen Streicheln der Wange, wie sie in den hinteren Räumen verschwand, als die Männer begannen, über Józefs Kunst zu reden. Sie sieht ein bisschen müde aus, nimmt die Brille ab und reibt sich ihre Augen.
    »Du bist Ärztin, hat Sascha erzählt«, sagt Margarete, ohne Astrid anzusehen. Sie hält sich an den Stäben des Geländers fest wie ein Kind in einem Gitterbett und sieht nach unten in den Hof. »Macht dir das Spaß?«
    »Ja, das wollte ich schon immer werden. Von Anfang an. Mein Vater war Chirurg und meine Mutter OP-Schwester, und manchmal, wenn sie beide am Wochenende Dienst hatten, dann haben sie mich mitgenommen, und einer von beiden hat auf mich aufgepasst. Oder eine der anderen Schwestern, wenn beide operieren mussten. Ich bin quasi im Krankenhaus groß geworden und mochte das immer schon.«
    »Und du warst Julius’ Freundin. Seine erste Liebe im Leben«, sagt Margarete und sieht Astrid dabei an, ohne die Gitterstäbe loszulassen.
    »Hat Julius dir das erzählt?«
    »Nein, auch Sascha.«
    »Ja, der Sascha ist aber auch ganz schön gesprächig. Ich war einmal Julius’ Freundin. Oder so etwas Ähnliches zumindest. Aber das ist viele, viele Jahre her.« Sie löst die Stirn von dem kalten Metall vor sich und verschränkt die Arme vor der Brust.
    »So etwas Ähnliches? Was heißt das?«, fragt Margarete.
    »Das weiß ich auch nicht. Ich war

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