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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregor Sander
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zurück in den Spiegel, hob die Arme ein wenig an und ließ sie gleich wieder fallen. Wie ein trauriger Papagei. »Woher weißt du das eigentlich alles?«, fragte ich. Vera zupfte mir am viel zu kleinen Blusenkragen herum und drückte mir dann ihre Hand ins Kreuz. »Stell dich mal gerade hin und guck dich an. Wie lange hattest du noch mal keinen Sex?«
    »Anderthalb Jahre.«
    »Na also!«
    »Aber in diesem Aufzug nimmt mich höchstens ein betrunkener Matrose auf der Reeperbahn.«
    Vera stand vor mir in einem weißen Unterhemd, und sie hatte sich die schwarze Strumpfhose über ihren kugelrunden Bauch gezogen. In sechs Wochen hatte sie den Geburtstermin für ihr drittes Kind. »Du bist ja erst mal raus aus dem Sexgeschäft«, sagte ich, und sie nickte.
    »Ja, da kann sich mein Oli mal allein ein paar warme Gedanken machen.« Sie wusste, dass ich ein bisschen neidisch auf ihre Schwangerschaft war, und das nicht nur, weil ich im Moment nicht einmal einen Mann hatte. Aber mit zweiundvierzig, und dann noch mit einem neuen Mann ein Kind zu bekommen, das konnte ich wohl ausschließen. Das war vorbei. Es ging mir auch mehr um den Zustand, den ich nie wieder erleben würde. Ein Kind in mir zu haben, das erste Mal eine Bewegung zu spüren. Um die Geburt beneidete ich sie nicht unbedingt.
    Vera zupfte an diesem Rock herum, der eng an meinen Beinen anlag wie bei einer Geisha, und sagte: »Ach der Oli, der hat es aber auch nicht leicht mit mir. Heute Abend ist Fußball, und er muss ja leider die Kinder ins Bett bringen, weil die Mutti hier in Hamburg die Sau rauslässt.« Sie grinste und legte ihre linke Hand oben auf den Bauch: »Du siehst toll aus, und wie ich den Oli kenne, lässt der die Gören einfach mitgucken, und die gehen dann um elf ins Bett.«
    Vera hatte diese Reise geplant. Generalstabsmäßig. Für den Abend hatte sie einen Tisch in einem schicken Restaurant gebucht und nach Schaumsüppchen von roten Linsen und Kreuzkümmel, einem gedämpften Steinbeißerfilet mit Sauce Rouille im Fenchel-Tomaten-Sud sowie einem halben Liter Merlot für mich und zwei Rooibos-Tee für sie gingen wir noch ein Stück am Ufer der Alster entlang zum Hotel. Ich konnte es nicht erwarten, aus diesen schrecklichen Klamotten rauszukommen. »Bist du aufgeregt wegen morgen?«, fragt Vera, so als ob ich zum Arzt müsste.
    Es war ihre Idee gewesen, hierherzukommen, um Julius wiederzusehen. Seitdem ich mich vor zwei Jahren von Tobias scheiden ließ, hatte sie immer wieder davon geredet. »Du musst den wiedersehen, Astrid. Ich bitte dich. Das kann doch nicht das Ende gewesen sein.« Insgeheim träumte sie davon, dass Julius und ich uns sofort wieder ineinander verlieben, heiraten und in eine Villa an der Elbe ziehen. Irgendwann hatte sie mich zu diesem Hamburgtrip überredet. Sie köderte mich mit einer Jan-van-Eyck-Ausstellung in der Kunsthalle und mit gutem Essen.
    Außerdem wollte ich Jana besuchen, die ebenfalls in Hamburg wohnte. In Winterhude, um genau zu sein. Ich hatte sie im Internet in einer Hamburger Schauspielagentur gefunden. Allerdings arbeitete sie dort als Agentin und nicht als Schauspielerin. Es gab auf der Website kein Foto von ihr, sondern nur eine Emailadresse, und als ich ihr schrieb, dass ich sie gern wiedersehen möchte nach so vielen Jahren, antwortete sie prompt und ohne langes Zögern. Als wären nicht Jahrzehnte vergangen, sondern nur ein paar Monate.
    Vera hatte sich bei mir eingehängt, und ich spürte, dass ihr das Laufen langsam schwerfiel. Die Alster lag dunkel, und die Luft war kühl und feucht. Ein paar Enten quakten, und weißes Laternenlicht beleuchtete den Sandweg vor uns. »Es ist ja nicht mehr weit«, sagte Vera, »guck, da vorn geht es rein in die Straße zu unserem Hotel.«
    Auch Julius hatte ich ganz schnell im Netz gefunden. Seine Galerie in Hamburg-Altona, spezialisiert auf osteuropäische Kunst. Von ihm und auch von seinem Bruder fand ich ein paar Fotos, auf denen sie zusammen mit einem polnischen Künstler zu sehen waren, alle drei trugen Cowboyhüte und hatten Zigarren im Mund.
    Wir hatten das Hotel erreicht, und ich schloss unser Zimmer auf. Vera schlurfte hinein und sagte: »Morgen besuchst du also diese Stasi-Trine, und wann hast du noch einmal den Termin mit Julius gemacht? Mein Gott, das ist so aufregend«, sagte sie. Gleich nach dem Eintreten hatte sie eine Tafel Vollmilchschokolade ausgepackt und hineingebissen wie in eine Stulle. »Der ist für dich damals über diese Wahnsinnsgrenze geflohen.

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