Was ich dir noch sagen will
auch Lisa den Wunsch, diese Welt wenigstens ein kleines bisschen besser zu machen und mehr zu tun, als bloß den Müll zu sortieren oder Ökostrom zu nutzen. Ins Ausland zu gehen und Entwicklungshilfe zu leisten war sicher etwas, worauf sie am Ende ihres Lebens mit einem guten Gefühl und voller Stolz zurückblicken würde. Doch in ihrer momentanen Phase, in der sie sich gerade eine Existenz als selbständige Designerin aufbaute, erschien es ihr nicht richtig. Vielleicht konnten Erik und sie später einmal eine Zeit lang woanders leben, wenn alles andere in geordneten Bahnen lief und sie am liebsten auch schon Nachwuchs hatten. Ein Kind würde sämtliche Prioritäten verschieben.
Das hieß jedoch nicht, dass sie nicht auch zu Hause Gutes tun konnten, dachte Lisa. Es kam ihr zwar ziemlich naiv vor, aber sie notierte auf ihrem Zettel das Stichwort «Welt verbessern». Sie würde sich überlegen, wie sie in ihrem direkten Umfeld irgendeine gute Tat vollbringen konnte.
Im Überschwang ihres Tatendrangs nahm sie einen so großen Schluck Kaffee, dass sie sich verschluckte und einen heftigen Hustenanfall bekam.
Das ist es, dachte Lisa schließlich, als sie sich wieder beruhigt hatte. In Klammern hinter den Punkt «Welt verbessern» schrieb sie noch die Worte «Herr Griesgram?». Vielleicht gab es irgendetwas, womit sie und Erik dem Obdachlosen an der Kreuzung helfen konnten.
Lisa schob den Zettel zur Seite und nähte konzentriert weiter. Erst als Jutta ins Atelier kam und ihr über die Schulter guckte, unterbrach sie ihre Tätigkeit erneut.
«Was wird das denn?», fragte ihre Freundin erstaunt.
«Ein Poncho», antwortete Lisa, ohne aufzusehen. «Ich finde, so einen genialen Stoff sollte man so oft tragen, wie es geht.»
«Das meine ich doch gar nicht», entgegnete Jutta und deutete auf den Zettel, der zwischen Scheren, Musterpapier, Stoffresten und Lisas Kaffeebecher lag.
«Ach so, das», sagte Lisa. «Das sind meine Lebensträume.»
«Ah, ja», kommentierte Jutta die Antwort mit einem leicht ironischen Unterton.
Lisa griff nach der Liste und hielt sie ihrer Freundin dicht vor die Nase, weil sie genau wusste, wie neugierig Jutta war. Ihre Freundin würde ohnehin keine Ruhe geben, solange sie nicht einen Blick drauf werfen durfte.
Jutta las nun andächtig laut vor:
K!
ein ganzes Wochenende im Bett verbringen
Traumhaus im Grünen
Tango-Kurs m.E.
Tier aus Tierheim holen
Instrument lernen
Sprache lernen
alle ungelesenen Bücher im Regal lesen
Welt verbessern (Herr Griesgram?)
Jutta machte eine nachdenkliche Pause. «Was bedeutet das
K
bei Punkt eins?», fragte sie.
Statt zu antworten, schaute Lisa ihre Freundin mit verzogenen Mundwinkeln an, als würde sie sich dafür schämen, dass sie den Wunsch nach einem eigenen Kind gleich an die erste Stelle gesetzt hatte.
Jutta dachte einen Augenblick darüber nach, dann schaltete sie offenbar. «Ich wusste gar nicht, dass ihr schon probiert.»
«Tun wir ja auch noch nicht.»
«Und was soll das ‹meines Erachtens› hinter dem Tango-Kurs?»
Lisa lachte. «Die Abkürzung steht nicht für ‹meines Erachtens›, sondern für ‹mit Erik›!»
Nun musste auch Jutta lachen. «Und die anderen Punkte? Willst du die nicht mit Erik machen?»
«Na ja, das Kind schon», erklärte Lisa grinsend. «Aber er weiß noch nichts davon.»
«Hast du etwa heimlich die Pille abgesetzt?», fragte Jutta mit einem kleinen, verschwörerischen Funkeln in den Augen.
«Quatsch. So was würde ich doch niemals bringen.»
Lisa stand auf und stöhnte, weil ihre Schulter vom langen Sitzen an der Nähmaschine schmerzte. Sie holte für Jutta eine Tasse, griff nach der Thermoskanne und schenkte beiden noch einen Kaffee ein. Dann setzte sie sich auf die Tischplatte und berichtete von dem gestrigen Abend. Und auf einmal sprudelten all die vielen Worte aus ihr heraus, die bis jetzt unausgesprochen in ihrem Kopf hin und her gewirbelt waren.
Ausführlich schilderte sie Jutta auch die Sorgen der letzten Wochen und erzählte dann mit wohltuender Erleichterung von Eriks neuem Lebensmut und davon, wie sie darauf gekommen waren, eine Liste mit ihren Träumen zu machen.
Jutta hörte sich die ganze Geschichte ruhig an. Dann fragte sie mit besorgtem Blick: «Warum hast du denn nie was gesagt? Ich wusste gar nicht, wie doll dir der Afrikatrip zugesetzt hat.»
Lisa zuckte mit den Schultern, und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: «Die Reise selbst war ja toll. Aber das mit dem Absturz … Ich wollte
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