Was ich dir noch sagen will
wusste nur allzu gut, mit wie vielen Komplikationen sie in ihrem Alter rechnen mussten.
Aber vielleicht ist genau das ja seine Strategie, dachte Lisa auf einmal und kickte dabei trotzig eine leere Schachtel Zigaretten zur Seite, die zusammengeknüllt vor dem Haus lag.
Sicher, sie rauchten beide nicht, nahmen auch sonst keine Drogen und ernährten sich meist recht gesund. Und zumindest Erik war außerdem noch sehr sportlich. Dennoch konnte er doch nicht allen Ernstes davon ausgehen, dass es mit einer Befruchtung auf Anhieb klappte! Ganz zu schweigen von allem anderen, was schiefgehen konnte.
Unweigerlich musste Lisa an das verlorene Kind von Lenny und Agnes denken und daran, wie viel Tragik in dieser Situation lag. Das eine Paar kann sich nicht einig werden in der Frage, ob es ein Kind will oder nicht. Und das andere Paar wünscht sich innigst ein Kind, aber verliert es wieder.
Wie sie das Ganze auch drehte und wendete, es entstand in ihrem Kopf einfach kein klares Bild. Was war bloß geschehen, dass sie so mit Erik aneinandergeraten konnte? Was war aus dem sicheren Gefühl geworden, das sie noch während ihrer wundervollen Zeit auf Sansibar gespürt hatte? Das Gefühl, wahrhaftig und für immer an die Seite eines Mannes zu gehören, den sie wirklich liebte und sehr schätzte. Was hatte sie ihm getan, dass er sich nicht oder nicht mehr vorstellen wollte, sie könnte die Mutter seiner Kinder werden?
Vielleicht hat er eine Affäre, schoss es Lisa plötzlich durch den Kopf. Vielleicht waren all die Treffen, die schuld daran waren, dass sie so wenig Zeit miteinander verbrachten, gar keine Verabredungen zum Sport, sondern Verabredungen mit anderen Frauen. Aber sie war einfach nicht der Typ, um Erik hinterherzuschnüffeln. Jutta würde ihr garantiert genau dazu raten – mit dem Argument, Erik sei schließlich auch nur ein Mann.
Ob ich Erik geheiratet hätte, wenn ich gewusst hätte, wie wenig souverän er mit dem Thema Kinder umgeht?, fragte sich Lisa und bog auf die Osterstraße ein.
Entschieden marschierte sie weiter und immer weiter. Und plötzlich stand ihr Entschluss fest. Es reichte!
Sie würde Erik vor die Wahl stellen: Entweder sie einigten sich verbindlich auf einen Zeitpunkt für ein Kind, oder sie trennten sich.
Lisa war plötzlich klar, dass sie niemals an Eriks Seite würde alt werden können, wenn sie seinetwegen kinderlos blieb. Wie sollte sie einen Mann weiterhin aufrichtig lieben können, wenn er nicht aufrichtig zu ihr war?
Wenn es aus anderen Gründen nicht klappte, dachte Lisa, würden sie sicher einen Weg finden, sich ein schönes Leben zu zweit zu machen. Aber unter diesen Umständen war Lisa fest entschlossen, die Einsamkeit und die neue undankbare Rolle der «Stressmacherin» in ihrer Beziehung nicht länger einfach so hinzunehmen.
Als Lisa an dem Fahrradladen vorbeikam, in dem sie und Erik den Helm gekauft hatten, stiegen ihr wieder Tränen in die Augen. Dort im Schaufenster lag ein ähnlich hässliches Exemplar wie Lord Helmchen.
Gedankenverloren starrte sie ins Fenster, bis sich mit einem Mal ihr Blick scharf stellte und sie ihr Gesicht in der Scheibe gespiegelt sah. Sie erschrak maßlos.
Sie sah nicht nur verheult und müde aus, sondern auch griesgrämig, ja fast hasserfüllt.
Sofort schaute sie weg, weil sie diesen Anblick nicht ertragen konnte.
War es wirklich allein Erik, der sich falsch verhalten hatte? Lisa traute sich kaum, dieser Frage gewissenhaft nachzugehen. Doch die Ahnung, dass auch sie einen gehörigen Teil zu der gesamten Entwicklung beigetragen hatte, breitete sich in ihr aus wie ein knallroter Luftballon, den man aufgrund seiner wachsenden Größe einfach nicht länger ignorieren konnte.
Zumindest für die Provokation mit der Pille würde sie sich entschuldigen müssen. Das war einfach nur mies gewesen. Und der Gedanke, dass Erik annahm, sie würde ihn tatsächlich auf so niederträchtige Weise hintergehen, war für sie unerträglich.
Mit schneller werdenden Schritten setzte sich Lisa wieder in Bewegung. Auf einmal überkam sie eine große Sehnsucht nach Erik, nach seiner sanften Stimme, seiner ruhigen Art, seinem duftenden Körper. Wo er wohl sein mochte? Ob er sich wieder zu Knuth geflüchtet hatte?
Lisa schlug den Heimweg ein. Wenn Erik noch nicht wieder zu Hause war, würde sie ihn anrufen und ihn bitten, auf direktem Weg zu kommen, damit sie alle Missverständnisse aus der Welt schaffen konnten.
Als Lisa in ihre Straße einbog und sich dem Haus näherte,
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